Der Tod und der Dicke
wohlgestimmtem Ohr nicht zu entgehen. Vor ihm an der Einbiegung führte Shady Grove auf eine etwas belebtere Straße mit dem ebenso unangemessenen Namen Park Lane. Direkt davor bog Hector wie immer ab, um die Grove zu überqueren und dann auf der Lane weiterzuschreiten. Gewöhnlich geschah dies ohne Pause, nur eine Wende nach rechts von fast militärischer Präzision, doch heute, sich des Wagens bewusst, blieb er auf dem Bürgersteig stehen und überprüfte dessen Position.
Es war ein schwarzer Jaguar, noch etwa zwanzig Meter hinter ihm, aber von ihm ging keine Bedrohung mehr aus, weil er zum Halt gekommen war. Tatsächlich sah er den Fahrer, der ihm hinter der getönten Scheibe zulächelte und mit seiner behandschuhten Hand zu verstehen gab, er könne die Straße queren.
Hector nickte und trat auf die Straße.
Der Wagen röhrte auf, Räder drehten durch, Gummi verbrannte, und in einem Augenblick, der selbst für weitaus aufgewecktere Geister als Hector viel zu kurz war, um die Gefahr zu erfassen, hatte der Jaguar die zwanzig Meter zurückgelegt und schleuderte ihn so hoch in die Luft, dass der Wagen ihn schon wieder passiert hatte, als er auf den Boden knallte.
Der Jaguar bremste und kam schlitternd auf der Park Lane zum Stehen. Durch die Heckscheibe betrachtete der Fahrer die reglose Gestalt. Sie zuckte. Er ging in den Rückwärtsgang. Doch bevor er zurückstoßen konnte, kam am anderen Ende der Shady Grove ein Milchwagen in Sichtweite.
Er rammte den ersten Gang ein und jagte auf der Park Lane davon.
7
Saurons Auge
Auf der anderen Seite der Pennines, in Lancashire, das sich von seinem östlichen Nachbarn in keiner Weise in den Schatten stellen lassen wollte, erwachte der Tag mit dem gleichen strahlenden Versprechen, das auch Hector begrüßt hatte.
In Yorkshire wurden solche Versprechen gewöhnlich gehalten, und als Pascoe, nachdem er sich eine zusätzliche Stunde im Bett gegönnt hatte, schließlich aus seinem Hotel schlenderte und sich auf die Suche nach den Sehenswürdigkeiten begab, die ihm von Glenister anempfohlenen worden waren, ignorierte er Manchesters Ruf für seinen meteorologischen Wankelmut und verzichtete darauf, einen Regenmantel mitzunehmen.
Er war noch auf der Suche nach der ersten Sehenswürdigkeit, als ein völlig unvorhersehbarer Regenschauer ihn in einen Türeingang stürzen ließ, wo er Deckung suchte.
Er fand sich im Eingang zu einem Antiquariat wieder. Im verstaubten Schaufenster stach ein dicker ledergebundener Band mit dem Titel Die Tempelritter hervor. Da der Regen keinerlei Anstalten machte, seinen Angriff etwas abzumildern, ging er hinein. An einem klapprigen Tisch saß eine Woody-Allen-Gestalt, die nicht sehr glücklich damit beschäftigt war, Zahlenkolonnen in eine Kladde einzutragen.
Auf Pascoes Bitte, das Buch aus dem Schaufenster zu holen,antwortete er mit dem mechanischen Nicken desjenigen, der beim Kopfrechnen unterbrochen wurde.
Pascoe blätterte den Band durch. Ein Einführungskapitel legte in einem Stil, der noch pädagogischer war als jener von Lukasz Komorowski, die Hintergründe der Ordensgründung dar. Das reich bebilderte Buch beschrieb im Folgenden die Entwicklung des Ordens zu einer so vermögenden und einflussreichen Streitmacht, dass er von vielen europäischen Herrschern als Bedrohung empfunden worden war. Die Gelübde der Armut und des Gehorsams waren augenscheinlich gebrochen worden, Gerüchten zufolge wurde das Gelübde der Keuschheit durch Akte »widernatürlicher Vereinigung«, als die sie geziert beschrieben wurden, noch eingehender missachtet.
»Sehr schöner Band«, kam es von einer Stimme, die so sehr nach George Formby klang, dass es Pascoe schwerfiel, sie Woody Allen zuzuordnen.
»Ja, in der Tat«, sagte er. »Was kostet es?«
»Glaube, ich hab es für hundertfünfundsiebzig ausgezeichnet. Sie sind doch kein Händler, oder?«
»O nein«, sagte Pascoe bestürzt. »Da kann ich nicht mithalten, fürchte ich.«
»Ich könnte mich auf hundertfünfzig runterhandeln lassen.«
»Nein, wirklich, ich interessiere mich mehr fürs Thema als für das Buch.«
»Ach ja?«, sagte er verächtlich. »Interessiert plötzlich alle, seitdem dieser komische Typ, dieser Tom Brown, für Furore sorgt.«
»Dan Brown, meinen Sie wohl?«
»Ja? Egal, jedenfalls gibt’s seitdem eine Menge Taschenbücher über die Templer und solches Zeugs. Dort drüben ist eine ganze Kiste voll, ein Pfund fünfzig für jedes oder drei für fünf Pfund.«
»Da hat’s Ihnen aber
Weitere Kostenlose Bücher