Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
öffne. Alle Mulden sind belegt. Zum Aktenkoffer gehört ein Anzug in gedeckter Farbe, dazu passend ein dunkles Oberlippenbärtchen und eine Hornbrille.
Ich parke meinen Wagen in der Nähe des Parkhauses, gehe zu Fuß weiter. Auf dem Parkdeck erkenne ich den dunkelblauen Mercedes. Hinter der Deckung einer Wand betätige ich die Türöffnung und warte eine halbe Minute. Die Türen schließen wieder. Erst danach nähere ich mich. Der Motor läuft geschmeidig, ich lausche der Mechanik, erschrecke, als sich das Navi mit Befehlston an mich wendet. Ich folge den Anweisungen, es kennt den Weg aus dem Parkhaus. »Fahren Sie links!« Ich gehorche, komme irgendwann vor der Schranke an. »Stecken Sie den Parkschein mit dem Pfeil voraus in den Schlitz!« Ich betrachte den Schein und schiebe ihn ein. Die Schranke hebt sich. Das Navi schweigt ein paar Sekunden lang und meldet sich, als ich vor der Straße stehe. »Fahren Sie nach rechts!«
Nach drei Abbiegungen im Straßennetz fühle ich mich in meiner Heimatstadt fremd. Der Wagen beschleunigt. Die Befehle des Navigationsgeräts prasseln auf mich nieder. Keine Autos, keine Fußgänger, Geschwindigkeit, welche die Straße zu einem Strich verformt. »Sie nähern sich ihrem Ziel!« Ich fahre langsam und halte.
Das funkelnde, riesige Gebäude! Ich stehe auf der entfernten Straßenseite, wo die Kamera positioniert war. Wenige Autos kriechen vorbei, deren Typ ich nicht kenne. Ein kurzer Blick nur, keine Überlegung, es ist so, wie es ist. Ich klappe meinen Aktenkoffer auf. Der Wagen hat dunkle Scheiben, dass ich ruhig arbeiten kann, dabei trage ich dünne Handschuhe. Ich lasse die Scheibe herab, halte den Windmesser hinaus und schließe wieder. Das Gewehr baue ich automatisch zusammen, setze das Zielgerät auf, programmiere die relative Windgeschwindigkeit, fülle das Magazin, schiebe es ein, lade durch. Fertig!
Ich lasse die Scheibe herab, sitze auf der dunklen Seite im Wagen und beobachte das Haus. Mein Ziel schlendert von rechts, im Schatten der hohen Gartenmauer nähert sich plaudernd der Treppe, am Arm einer langhaarigen, blonden Frau. Ich sollte das Seidenkleid nicht wahrnehmen, das ihren Busen wie ein mediterraner Himmel umhüllt. Sie dreht sich zu mir herüber. Die Frau interessiert mich nicht und ich denke trotzdem an Walli. Das Ziel ist erfasst. Die Doppeltür gleitet zurück, ein Sonnenreflex schießt durch die elektronische Optik, überlastet sie. Absolutes Schwarz, aber ich spüre den Rückstoß, höre den gedämpften Lauf. Ich habe abgedrückt, ohne zu sehen. Das Bild baut sich auf, das hellblaue Seidenkleid liegt auf dem Rücken. Ein kirschroter Mund ist zu einem entsetzten Schrei aufgerissen. Absolute Stille. Der rosarote Granit zeigt unerbittliche Härte. Der Mann ist verschwunden. – Ich habe versagt!
Ich starte den Wagen, folge den Anweisungen, jage um Ecken, um Ecken, um Ecken – ein Labyrinth. Schwerkraft scheint aufgehoben. »Fahren sie links!« Ein Tunnel, schwarz wie ein Teerfass. Das Licht schaltet ein, wird rot, ist weg. Der Wagen gleitet wie ein Elektron durch das Hochspannungsgitter einer Bildröhre. Wieder mein Traum! Ich versuche, mich dagegen zu sträuben. In diesem Wagen bin ich ausgeliefert. Er findet den Weg ins Parkhaus, ich fliehe aus dem Mercedes, suche mit stolpernden Schritten meinen eigenen Wagen, fahre heim und verkrieche mich im dunklen Schlafzimmer wie ein waidwundes Reh. Unter Wolldecken liege ich vergraben, meine Kleider habe ich einfach vom Körper gerissen.
Ich bin erleichtert, als Walli endlich kommt. Von meinem Auftrag kann ich ihr nicht erzählen, aber von der rasenden Fahrt im Tunnel, von … Ich suche nach Worten. Schließlich spreche ich über den Traum, der mich mit Lichtgeschwindigkeit durch ein dünnes Silbernetz jagt. Ich bin ein Geschoss, explodiere. Sie lacht mich aus, nimmt den Gedanken der Geschwindigkeit auf, jongliert damit, macht sich nebenbei nackt und kommt ins Bett.
»Was ist das für ein roter Punkt auf deiner linken Brust?«
Sie steht auf, geht ins Bad, kommt lachend zurück.
»Du sollst mir doch keine Angst einjagen.«
Ich streichle ihre Brust. Eine Delle, die sie weder sieht, noch spürt. Soll ich das verstehen? Spielt sie mit mir? Wir lieben uns, aber ich kann die rote Druckstelle nicht ausblenden. Mir ist, als ob ich mich erinnere.
»Was würde ich ohne dich machen?«, frage ich.
»Küss mich so, als ob es der letzte Kuss ist.«
»Ich küsse dich niemals anders.«
Walli ist der einzige Grund, mit
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