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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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lebst.«
    »Öffne deine Augen!«
    Ich öffne die Augen, sie lächelt ein nachdenkliches, blaues Lächeln, trägt ein Seidenkleid. Wie vor diesem Haus? Gegenwart oder Zukunft? Meine Füße stehen auf Granit, die rosa Treppe – das protzige Haus hinter mir. Drüben wartet der dunkelblaue Mercedes. Den Ausschnitt ihres Sommerkleides verfärbt Blut an der linken Brust. Ein verirrter Blick hinüber. Der Wagen verschwimmt, löst sich auf. Ein feines Netz hängt zwischen Vergangenheit und jetzt.
    »Du wolltest dich selbst töten«, sagt sie.
    Hinter mir gleitet die Doppeltür. Ich wende den Kopf. In der Spiegelung erkenne ich den grauhaarigen Herrn. Jetzt begreife ich mich selbst. Ich sehe mich, wie ich sein werde, oder vielleicht schon bin. Mein bitteres Lächeln zerfließt wie Tannenhonig.
    »Die Bürstenfrisur gefällt mir nicht.«
    »Du hast den Krebs besiegt«, antwortet sie.
    »Habe ich versagt?«
    Sie schüttelt den Kopf und ich bin erleichtert.
    »Schau in die Sonne.«
    Ich schaue in die glühende Scheibe. Genau zwischen den Augen, über der Nasenwurzel, brennt ein Punkt. Das rote Geschoss nähert sich mit unglaublicher Geschwindigkeit. Die Welt wird schneeweiß, verliert Kontur und Farbe, bis auf das Rot ihrer Lippen, des Blutes, meines Todes. Wir umarmen uns. Lichtgeschwindigkeit hat mich in die Zukunft geschleudert, wo mich mein Tod empfängt.
    »Du lebst!«, schreie ich erleichtert.
    »Mein Gehirn schaltet fünf Minuten nach meinem Herz ab.«
    Der Schluss des Satzes ist kaum hörbar. Der rote Punkt – 223 explosiv. Ich warte mit unbewegter Stirn. Walli hängt in meinen Armen, ihr kirschroter Mund schreit. Ich ziehe sie hoch, will den Schrei mit meinen Lippen bedecken – es ist ein stiller Schrei. Ihre aufgerissenen Augen sind glanzlos, das Blau ist zerflossen.
    »Der letzt …..

Wolfgang Kemmer Das höchste Gut
    Seliger war kein Zocker. Dafür war er zu geizig. Außerdem zu ängstlich und menschenscheu. Er spielte gern, aber ohne Risiko. Das machte ihn anfällig für Computerspiele. Seitdem er während des Studiums einmal wochenlang die Vorlesungen geschwänzt hatte, um Tag und Nacht vor dem PC zu sitzen und ein Adventure-Game zu knacken, wusste er, dass er suchtgefährdet war. Er kämpfte dagegen an. Phasenweise mit Erfolg. Aber es kam immer wieder. In Schüben. Als ihn der letzte Schub, kurz nach der Scheidung, um ein Haar den Job kostete, verkaufte er seinen Rechner und die komplette Software.
    Monatelang spielte er gar nicht, dann geriet er auf einer Dienstreise in ein Internetcafé und das Verlangen war wieder da. Fortan spielte er regelmäßig in Internetcafés. Da Seliger es nie länger als drei, vier Stunden ertrug, menschlichen Blicken ausgesetzt zu sein, war hier die Gefahr, sich zu vergessen, nicht ganz so groß.
    Das »Netz« am Goldbrunnen-Platz war genau der richtige Ort für ihn. Es lag weit abseits seiner üblichen Wege, so dass er nicht der Versuchung erlag, nur mal schnell auf einen Sprung vorbeizugehen. Außerdem gehörte es zu einer Kette von Internetcafés. Mit seiner Nutzer-Karte erhielt er auch in den »Netzen« anderer Städte Zugang und konnte bargeldlos zahlen. Am liebsten spielte er aber auf seinem Stammplatz hinter der Yuccapalme mit Sicht auf den Goldbrunnen.
    Als beste Zeiten hatten sich Samstagmorgen und Montagabend herauskristallisiert. Dann war wenig los und Theo, der Besitzer, wusste mittlerweile, dass er kam, und reservierte ihm seinen Platz.
    Seliger liebte Adventures, bei denen es auf die richtige Mischung aus Fingerfertigkeit und Kombinationsgabe ankam. Er brauchte keine hochauflösende Graphik, legte keinen Wert auf wirklichkeitsgetreu aussehende Figuren, wichtig war für ihn der Rhythmus des Spiels, den er so verinnerlichte, bis er ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Wenn er alle Rätsel gelöst hatte, jagte er seine Figur in einem perfekt einstudierten Tanz über den Bildschirm. Dann wagte er kaum noch zu atmen, sein Körper war gespannt wie eine Feder, voll gepumpt mit Adrenalin. Irgendwann aber war alles ausgereizt, das Tempo nicht mehr zu steigern, die Zeit reif, sich die Choreographie eines neuen Spiels zu erarbeiten.
    Theo kannte seine Vorlieben und hatte ihm schon einige Tipps gegeben. »Das höchste Gut« war sein letzter, ein Spiel bei dem jedes Level ein Schritt in der Menschheitsgeschichte darstellte. So hatte Seliger sich mit Faustkeil und Keule gegen Urzeittiere zur Wehr gesetzt und das Feuer entdeckt. Er hatte Rad und Schießpulver neu erfunden,

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