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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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Unbehagen. Was bezweckte er mit dieser Aussage? War das Zynismus?
    Was sagt Dir Dein Gefühl noch?, tippte sie.
    Wieder ließ sich Carl Zeit mit einer Antwort.
    Dass Du ihn gerne fickst.
    Ihr stockte der Atem.
    Besorgt er es Dir ordentlich? Zwischen seinen Aktenordnern?
    Sie konnte die Wut zwischen den Zeilen förmlich spüren. Was war passiert? Carl wusste doch schon lange von ihrer Affäre mit dem Buchhalter. Er hatte sie sogar geärgert damit. Sie war doch nicht sein Eigentum. Ihre Hände zitterten.
    Was soll das?, fragte sie.
    Einen Moment lang dachte sie an ihre unschuldigen Rendezvous mit dem Buchhalter ihrer Firma. Kleine Verlängerungen der Mittagspause, in denen sie in seinem Zimmer verschwanden, die Jalousien runterließen. Es war der zornige Versuch, am Leben zu bleiben. Sich zu fühlen. Sich zu berühren. Sich nehmen zu lassen, zu geben.
    Du hast nach meinem Gefühl gefragt, schrieb Carl. Sorry.
    Er schien auf eine Antwort zu warten.
    Doch sie spürte, dass sich etwas in ihr verändert hatte. Das Vertraute, das Nahe, es war mit einem Mal verschwunden.
    Sie wusste nichts von diesem Menschen auf der anderen Seite. Irgendwo da draußen. Sie wusste nicht einmal, ob er ein Mann war, ob er »um die 40« war oder »gut aussehend«. Vielleicht war er fett und hässlich. Wusch sich nie und aß nur Pizza vorm Computer. Bekleidet in Unterhemd und Unterhose. Weiß, Feinripp.
    Plötzlich fröstelte ihr bei dem Gedanken daran, was der Unbekannte alles über sie wusste. Ihren Vornamen, ihr Alter. Ihre E-Mail-Adresse. Und dass sie ihren Mann umbringen wollte. Er konnte unverzüglich die Polizei informieren. Wahrscheinlich würde die nicht lange brauchen, ihre wahre Identität anhand der E-Mail-Adresse herauszufinden.
    Mit einem Mal war ihr klar, dass sie Micha immer noch liebte. Nie aufgehört hatte, ihn zu lieben. Dass sie ihre Sehnsucht nach ihm nur auf einen Fremden im Internet projiziert hatte. Sie vermisste ihren Mann ernsthaft. Sein Lachen, seine Gedanken, seine Liebe. Was für ein völlig absurder Gedanke, ihn umbringen zu wollen.
    Vielleicht hatten sie doch noch eine Chance auf ein gemeinsames Leben. Sie selbst hatte sich in den vergangenen Wochen kaum um ihn bemüht. Kaum mit ihm gesprochen, ihm kaum Aufmerksamkeit gewidmet.
    Und auch, wenn sich nichts ändern ließ, dann würde sie sich mit der Situation einrichten können. Alles war besser, als mit der Schuld leben zu müssen, einen Menschen umgebracht zu haben. Ihren Micha.
    Mit einem Mal hatte sie furchtbare Sehnsucht nach ihrem Mann alleine im Kaminzimmer in seinem Bett vor dem Fernseher. Seit Wochen hatte sie Abend für Abend im Internet gesurft. Niemand war bei ihm, schaute nach ihm. Hielt seine Hand, streichelte seine Wange. Machte ihm Mut.
    Sie löschte alle Mails von Carl und ihren Cache, blockte Carls E-Mail-Adresse in ihrem System und loggte sich aus dem Internet aus. Dann fuhr sie ihren Computer herunter, räumte ihren Schreibtisch auf und löschte die Lampe.
    Gerade als sie aufstehen wollte, sah sie den Schatten in der Türe.
    »Micha?«, fragte sie erschrocken. Sie spürte, wie sich die Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Ihr Herz seinen Schlag beschleunigte.
    Wilde Gedanken durchströmten sie. Was machte er hier? Wie konnte er in den ersten Stock gelangen, so ganz ohne Hilfe? Was wollte er von ihr? Warum stand er hier im Dunkeln? Doch sie konnte keinen einzigen der Gedanken fassen und zu einer Frage artikulieren. Sie konnte den Schatten nur anstarren. Sie spürte instinktiv, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, überhaupt nicht in Ordnung. Und das es nichts damit zu tun hatte, dass Micha vor ihr im ersten Stock ihres Hauses auf seinen beiden Beinen stand, obwohl er eigentlich im Rollstuhl saß.
    »Ich hätte Dir wahrscheinlich irgendwann verziehen«, sagte er und seine Stimme war schneidend. Sie klang hart und kalt und fremd. »Verziehen, dass Du nach links, und nicht nach rechts ausgewichen bist. Verziehen, dass Du eine Affäre mit diesem lächerlichen Buchhalter hast. Verziehen, dass Du im Internet mit Männern flirtest.« Er machte ein Geräusch und erst nach einiger Zeit wurde ihr klar, dass Micha lachte. Es war ein bellendes, tiefes Lachen. Sie spürte Übelkeit aufsteigen.
    »Carl«, sagte Micha. »Hast Du vergessen, dass Carl mein zweiter Vorname ist? Ich wusste nicht, wie ich mich Dir wieder nähern sollte. Ich habe so lange geschwiegen. Ich wollte Dir verzeihen. Ich wollte Dir erzählen, dass alles zurückgekommen ist. Dass ich

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