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Der Tod wartet

Der Tod wartet

Titel: Der Tod wartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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schoben sich durch die gewundenen engen Gänge. Plötzlich wichen die Felswände zurück, und sie traten in ein weites Tal hinaus. In der Ferne waren Lichter zu erkennen.
    «Das ist Camp!», sagte der Führer.
    Die Pferde beschleunigten ihre Schritte – nicht sehr, denn dafür waren sie zu unterernährt und mutlos, aber sie ließen immerhin eine Spur von Begeisterung erkennen. Der Weg führte nun an einem ausgetrockneten Wadi entlang. Die Lichter kamen näher.
    Sie konnten eine Gruppe von Zelten ausmachen und weiter oben, direkt am Fuß einer steilen Felswand, eine weitere Reihe. Und Höhlen, die in den Fels gehauen worden waren.
    Sie waren am Ziel. Beduinische Diener kamen gelaufen.
    Sarah starrte zu einer der Höhlen hinauf. Eine Gestalt zeichnete sich dort ab. Was mochte das sein? Ein Idol? Ein mächtiges kauerndes Götzenbild?
    Nein, es war nur der flackernde Lichtschein, der die Figur so bedrohlich wirken ließ. Aber es musste irgendein Idol sein, was dort so regungslos verharrte und brütend herabblickte…
    Und dann machte Sarahs Herz plötzlich einen Satz, und sie wusste, was dort saß.
    Verflogen war das Gefühl von Ruhe und Frieden, von Ungebundenheit, das die Wüste ihr gegeben hatte. Sie war aus der Freiheit in die Gefangenschaft zurückgeführt worden. Sie war in dieses dunkle gewundene Tal hinuntergeritten, und hier saß, wie die Hohepriesterin eines vergessenen Kultes, wie ein monströser aufgedunsener weiblicher Buddha – Mrs Boynton.

Elftes Kapitel
     
    M rs Boynton war hier, hier in Petra!
    Sarah gab mechanisch Antwort auf die Fragen, die man ihr stellte. Ob sie gleich zu Abend essen wolle – es sei alles bereit – oder ob sie sich erst frisch machen wolle? Ob sie lieber im Zelt oder in einer Höhle zu schlafen wünsche?
    Die letzte Frage beantwortete sie, ohne zu zögern. Im Zelt. Der Gedanke an eine Höhle ließ sie zusammenzucken, und sie sah wieder die monströse kauernde Gestalt vor sich. (Wieso hatte man das Gefühl, dass diese Frau kaum menschliche Züge an sich hatte?)
    Dann folgte sie einem der einheimischen Diener. Er trug khakifarbene Reithosen, die an mehreren Stellen geflickt waren, schlampige Wickelgamaschen und ein zerschlissenes Herrenjackett, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Dazu die Kefije, die traditionelle Kopfbedeckung der Beduinen, deren auch den Nacken bedeckende Fülle von einer eng um den Kopf geschlungenen schwarzen Seidenschnur zusammengehalten wurde. Sarah bewunderte den leichten, schwingenden Gang des Mannes, die selbstbewusste stolze Kopfhaltung. Geschmacklos und billig wirkten nur die europäischen Teile seiner Kleidung. Sie dachte: Zivilisation ist auch nicht das Wahre – nein, ganz und gar nicht! Wenn wir nicht so zivilisiert wären, gäbe es keine Mrs Boynton! Bei den Wilden hätte man sie schon längst abgemurkst und verspeist!
    Leicht belustigt gestand sie sich ein, dass sie übermüdet und gereizt war. Aber nachdem sie sich mit heißem Wasser gewaschen und etwas Puder aufgetragen hatte, war sie wieder sie selbst – beherrscht, ausgeglichen und von ihrer panikartigen Reaktion vorhin peinlich berührt.
    Sie kämmte ihr dichtes schwarzes Haar und betrachtete sich dann im flackernden Licht einer kleinen Öllampe von allen Seiten in einem höchst unzulänglichen Spiegel.
    Dann schlug sie die Plane am Eingang zurück und trat hinaus in die Nacht, um zu dem weiter unten gelegenen großen Gemeinschaftszelt zu gehen.
    «Sie – hier?»
    Es klang wie ein leiser Aufschrei, verblüfft, ungläubig.
    Sie drehte sich um und blickte direkt in Raymond Boyntons Augen. Wie fassungslos sie sie ansahen! Aber da war noch etwas anderes, etwas, das Sarah sprachlos und beklommen machte. Eine unglaubliche Freude… als hätte der junge Mann einen Blick ins Paradies getan, so verwundert, benommen, dankbar, demütig! Ein Blick, den Sarah nie im Leben vergessen würde. Wie ein Verdammter, der aufschaut und das Paradies erspäht…
    Er sagte noch einmal: « Sie? »
    Der leise, bebende Ton seiner Stimme rührte etwas in ihr an. Er drehte ihr das Herz im Leibe um. Er machte sie scheu, ängstlich, demütig – und erfüllte sie doch jäh mit stolzer Freude.
    Sie sagte nur ein einziges Wort: «Ja.»
    Er kam näher, noch immer wie betäubt, wollte es noch immer nicht glauben.
    Dann griff er plötzlich nach ihrer Hand.
    «Sie sind es wirklich», sagte er. « Sie sind hier! Zuerst dachte ich, Sie seien ein Geist – weil ich ständig an Sie denken muss.» Er hielt inne und sagte dann:

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