Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
an, in dem er frei und ungehindert agieren konnte. Ende dieses Jahres schickte Bin Laden vier Vertraute in den Sudan, die dort die geschäftlichen Möglichkeiten prüfen sollten, die ihm die Regierung in Aussicht gestellt hatte. Al-Turabi betörte diese Gesandten durch seine Gelehrsamkeit, und sie kehrten begeistert zurück. „Der Sudan eignet sich bestens für deine Unternehmungen“, berichteten sie Bin Laden. „Dort gibt es Leute mit Verstand, mit guter Ausbildung! Du hast es nicht mit Mittelmaß zu tun.“ 5
Kurz darauf erschien ein weiterer Sendbote Bin Ladens in Khartoum mit einem größeren Bargeldbetrag. Dschamal al-Fadl, ein sudanesisches al-Qaida-Mitglied, mietete einige Häuser und kaufte mehrere große Grundstücke, die für Ausbildungszwecke genutzt werden sollten. Die Gruppe al-Dschihad hatte bereits im Sudan Fuß gefasst, und Sawahiri überreichte Fadl persönlich 250 000 Dollar, um eine Farm nördlich der Hauptstadt zu erwerben. 6 Bald begannen sich die Nachbarn über den Lärm von Explosionen auf den brachliegenden Feldern zu beschweren.
Als zusätzlichen Anreiz erhielt die Saudi Binladin Group den Auftrag, einen Flughafen in Port Sudan zu bauen, weshalb Osama häufig ins Land reisen musste, um die Arbeiten zu überwachen. 7 Im Jahr 1992 zog er schließlich zusammen mit seinen vier Frauen und seinen damals 17 Kindern von Afghanistan nach Khartoum. 8 Außerdem ließ er Bulldozer und schweres Arbeitsgerät ins Land schaffen und kündigte an, dass er als Geschenk für die Nation im Osten des Landes 300 Kilometer Straßen bauen werde. Der Führer des Sudan empfing ihn mit Blumengirlanden. 9
UNTERSCHIEDLICHER konnten zwei Männer mit so ähnlichen Träumen wie Bin Laden und al-Turabi nicht sein. Während Bin Laden wortkarg und lakonisch war, neigte al-Turabi zur Redseligkeit, erging sich in endlosen theoretischen Ausführungen und war ein blendender Redner. Er veranstaltete Soireen in seinem Haus, wo jeden Abend Staatsoberhäupter oder hohe Geistliche auf den grünen Cordsofas an den Wänden seines Salons saßen, Tee tranken und seinen endlosen Monologen zuhörten. Er konnte stundenlang ohne Pause reden, brauchte nur ein Publikum, um in Fahrt zu kommen, gestikulierte mit beiden Händen und unterstrich seine Späße durch nervöses Lachen. Er war ein schlanker Mann mit sehr dunklem Teint, der einen scharfen Kontrast bildete zu seinem blütenweißen Gewand und seinem strahlenden, breiten Grinsen, das ihn noch lebhafter erscheinen ließ.
Fast jeden Monat nahm Bin Laden an einer dieser Veranstaltungen teil, meist mehr aus Höflichkeit denn aus Interesse. 10 Er lehnte fast alles ab, was al-Turabi von sich gab, doch dem Professor in seinem Salon war er nicht gewachsen. Der Islam, den al-Turabi auf radikalem, nichtdemokratischem Weg zu schaffen versuchte, war überraschend fortschrittlich. Al-Turabi wollte die überkommene Spaltung zwischen der sunnitischen und der schiitischen Glaubensrichtung überwinden, was nach Bin Ladens Auffassung reine Häresie war. 11 Al-Turabi sprach davon, „die Kunst, die Musik und das Singen“in die Religion zu integrieren, was Bin Ladens Glauben wahhabitischer Prägung entschieden zuwiderlief. 12 In früheren Jahren war al-Turabi durch sein Eintreten für die Rechte der Frauen bekannt geworden. Er war der Meinung, dass die muslimischen Frauen einst relativ gleichberechtigt gewesen waren. „Der Prophet selbst hat bei Frauen, nicht bei Männern, Rat und Hilfe gesucht. Sie durften als Vorbeterinnen tätig sein. Sogar in der Schlacht waren sie dabei! Bei der Entscheidung darüber, ob Othman oder Ali dem Propheten nachfolgen solle, haben sie mit abgestimmt!“ 13
Nachdem Bin Laden nun endlich in einem radikalen islamischen Staat lebte, stellte er einige praktische Fragen; so wollte er wissen, wie sich die Islamisten die Anwendung der Scharia im Sudan vorstellten oder wie sie mit den Christen im Süden umgehen wollten. Häufig gefielen ihm die Antworten nicht. Al-Turabi erklärte ihm, dass die Scharia ausschließlich für die Muslime gelten solle, die mit den Christen in einem föderativen Staat zusammenleben und mit ihnen die Macht teilen sollten. Bin Laden blieb jeweils zehn bis dreißig Minuten bei diesen abendlichen Zusammenkünften, dann ging er wieder. Er konnte es kaum erwarten wegzukommen. „Dieser Mann ist ein Machiavellist“, bemerkte er gegenüber seinen Freunden. „Es ist ihm gleichgültig, welche Methoden er benutzt.“Obwohl sie einander brauchten, begannen
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