Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
unlösbaren Konflikt mit dem Süden des Landes, der die finanziell angeschlagene sudanesische Regierung täglich eine Million Dollar kostete 29 und insgesamt mehr als eine Million Menschenleben forderte. Ein Veteran namens Issam betrachtete diesen Krieg als einen Dschihad, und es erschien ihm falsch, dass der berühmte islamische Krieger dabei abseits stand. Bin Laden erklärte, er habe genug vom Krieg. Er sagte, er habe sich entschlossen, al-Qaida zu verlassen und Landwirt zu werden.
Ähnlich äußerte er sich gegenüber vielen seiner Freunde. Er stand an einem Scheideweg. Das Leben im Sudan war angenehm eintönig. Am Morgen begab er sich in seine örtliche Moschee zum Gebet, eine Schar von Anhängern und Bewunderern im Gefolge; dort verweilte er meist etwas länger und diskutierte mit den heiligen Männern, frühstückte oft auch mit ihnen, bevor er in sein Büro ging, eine der zahlreichen Fabriken aufsuchte, die zu seinem expandierenden Firmenimperium gehörten, oder sich auf einen Traktor schwang und auf einem seiner ausgedehnten Landgüter die Felder pflügte. Auch als Chef eines florierenden Konzerns behielt Bin Laden die Angewohnheit bei, am Montag und am Donnerstag zu fasten. 30 Vor dem Freitagsgebet sprach er oft in der größten Moschee Khartoums und appellierte an seine muslimischem Mitbrüder, die Segnungen des Friedens zu entdecken. 31
Etwas jedoch schmerzte Bin Laden und hinderte ihn daran, sich ganz den Verlockungen eines Lebens hinzugeben, das sich nur auf die Wirtschaft und die spirituelle Kontemplation beschränkte: die fortdauernde Anwesenheit amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien. König Fahd hatte versprochen, dass die Ungläubigen nach Kriegsende wieder abziehen würden, aber Monate nach der Niederlage der Iraker saßen die Koalitionstruppen noch immer in den saudischen Luftwaffenstützpunkten und überwachten das Waffenstillstandsabkommen. Bin Laden grämte sich zutiefst über diese Besetzung des heiligen Landes, die dauerhaft sein würde, wie er fürchtete. Es musste etwas geschehen.
ZUR GLEICHEN ZEIT legten die amerikanischen Soldaten auf ihrem Weg nach Somalia gelegentlich im Jemen einen Zwischenstopp ein. Die Hungersnot in Somalia hatte die Weltöffentlichkeit auf das ostafrikanische Land aufmerksam gemacht, und die USA entsandten eine kleine Streitmacht, um die Mitarbeiter der UN-Hilfsorganisation gegen marodierende lokale Clans zu schützen.
Doch die Strategen von al-Qaida fühlten sich eingekreist und interpretierten die jüngste Entwicklung als einen direkten Angriff: Die Amerikaner kontrollierten bereits den Persischen Golf, und jetzt benutzten sie die Hungersnot in Somalia als Vorwand, um das Horn von Afrika zu besetzen. Der Jemen und Somalia bildeten den Eingang zum Roten Meer, der ohne weiteres blockiert werden konnte. Trotz aller Pläne, die al-Qaida entwickelt hatte, um die islamische Revolution anzufachen, schien nun Amerika in der Region an Einfluss zu gewinnen, strebte die Kontrolle über jene Punkte an, an denen die arabische Welt am verwundbarsten war, und drang auf das Terrain der Qaida vor. Das Netz zog sich zusammen. Der Sudan konnte das nächste Ziel sein. Diese Überlegungen wurden zu einer Zeit angestellt, als in den USA noch niemand etwas von al-Qaida gehört hatte, als der Einsatz in Somalia noch als undankbare, wohltätige Geste betrachtet wurde und der Sudan zu unbedeutend war, als dass man sich mit ihm beschäftigte.
Jeden Donnerstagabend versammelten sich die al-Qaida-Mitglieder in Bin Ladens Gästehaus in Khartoum, um einer Ansprache ihres Führers zu lauschen. An einem dieser Donnerstage im Jahr 1992 wurde über die Bedrohung durch die erweiterte US-Präsenz diskutiert. Al-Qaida wurde zur Terrororganisation erst durch die Entscheidungen, die Bin Laden und sein Schura-Rat in jener kurzen Phase trafen, in der Bin Laden schwankte - die Verlockungen des Friedens waren damals noch ebenso anziehend wie der Schlachtruf des Dschihad.
Bin Ladens religiöser Berater war sein enger Freund Mamdouh Salim, auch Abu Hadscher al-Iraki genannt. 32 Abu Hadscher war ein schneidiger, nüchterner Kurde, der bei jedem, der ihn kennen lernte, einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Der ernste, herrische Mann mit gepflegtem Spitzbärtchen und stechenden schwarzen Augen war in Saddams Armee während des Krieges gegen den Iran Oberst gewesen, war dann desertiert und in das Nachbarland geflohen. 33 Er und Bin Laden waren im gleichen Alter und damals, 1992, 34 Jahre alt. Sie
Weitere Kostenlose Bücher