Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
dauerhaften Besatzung befürchten ließ. Obwohl die Amerikaner - und die übrigen Koalitionstruppen - meist abseits der Städte stationiert wurden, damit die Bevölkerung sie nicht zu Gesicht bekam, empfanden es die Saudis als eine Schande, dass sie Christen und Juden zu Hilfe holen mussten, um das heilige Land des Islams zu verteidigen. Dass zudem viele dieser ausländischen Soldaten Frauen waren, verstärkte das Unbehagen. Die Schwäche des saudischen Staates und seine beschämende Abhängigkeit vom Westen auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit wurden vor der ganzen Welt zur Schau gestellt durch die 1500 Journalisten, die in das Königreich einfielen, um über den Truppenaufmarsch zu berichten. 57 Für ein so verschlossenes und religiös geprägtes Volk, das bisher nur eine staatlich kontrollierte Presse kannte, war dieses enorme Medieninteresse höchst verwirrend - zeitweise wirkte es beschämend und berauschend zugleich. Ein Gemisch aus Angst, Wut, dem Gefühl der Demütigung und Fremdenfeindlichkeit verdichtete sich zu einer spannungsgeladenen, aufgeheizten Atmosphäre, doch anstatt sich hinter ihre bedrohte Regierung zu scharen, betrachteten viele Saudis dies als eine einmalige Gelegenheit, der Staatsführung Veränderungen abzutrotzen.
In dieser schwierigen Phase der Geschichte Saudi-Arabiens, als die Welt gewissermaßen durchs Fenster hereinschaute, fühlten sich die fortschrittlichen Kräfte im Land ermutigt, ihre moderaten Reformvorstellungen energischer voranzutreiben. So hielt es beispielsweise im November 1990 eine Gruppe von 47 Frauen für angebracht, das informelle Verbot des weiblichen Autofahrens in Frage zu stellen. Wie sich herausstellte, gab es kein Gesetz, das Frauen das Autofahren untersagte. Die Frauen trafen sich vor dem Safeway-Kaufhaus in Riad, ließen ihre Fahrer aussteigen, setzten sich selbst ans Steuer und drehten dann eine Viertelstunde lang trotzig eine Runde durch die Hauptstadt. Ein Polizist hielt sie an, hatte aber keine rechtliche Handhabe, sie am Weiterfahren zu hindern. Prinz Naif erließ umgehend ein Verbot, und Scheich Abdul Asis Bin Bas, der oberste Rechtsgelehrte des Landes, verdammte in einer Fatwa eilfertig das Autofahren von Frauen als eine Quelle des Lasters. Die Frauen mussten ihre Pässe abgeben, und mehrere von ihnen, die als Professorinnen an der Frauenabteilung der König-Saud-Universität tätig gewesen waren, wurden entlassen, nachdem ihre Studentinnen protestiert und erklärt hatten, sie wollten nicht durch „Ungläubige“unterrichtet werden. 58
Im Dezember brachten Reformer eine Petition in Umlauf, in der eine Beendigung der Diskriminierungen aufgrund von Stammeszugehörigkeit, die Einrichtung einer beratenden Körperschaft für den König (einer traditionellen Schura), mehr Pressefreiheit, die Einführung von Grundgesetzen für das staatliche Handeln und eine gewisse Aufsicht über die Verkündung religiöser Fatwen gefordert wurden.
Einige Monate später schlug das religiöse Establishment mit einem eigenen fulminanten „Forderungsbrief“zurück. 59 Darin wurde offen der Machtanspruch des Islams im Staat formuliert und die beherrschende Stellung der Königsfamilie in kaum verhüllter Form in Frage gestellt. Die 400 Religionsgelehrten, Richter und Professoren, die den Brief unterzeichnet hatten, verlangten eine strikte Befolgung der Scharia in allen Bereichen der Gesellschaft, darunter ein Verbot von Zinszahlungen, die Schaffung einer islamischen Armee durch allgemeine Wehrerziehung und eine „Säuberung“der Medien, um sie stärker am Islam auszurichten. Das Herrscherhaus war über diesen Brief mehr entsetzt als über Saddam Husseins Einmarsch in Kuwait. 60 Viele Anliegen der religiösen Dissidenten ähnelten den Forderungen der Aufständischen, die 1979 den Überfall auf die Große Moschee verübt hatten. Sie wurden zur Grundlage von Bin Ladens politischer Agenda für das Königreich.
Der Auftrag der Amerikaner verlagerte sich bald vom Schutz Saudi-Arabiens auf die Vertreibung der Iraker aus Kuwait. Der Krieg begann am 16. Januar 1991. Mittlerweile hatten sich die meisten Saudis mit der Anwesenheit der Amerikaner und der Truppen von 34 weiteren Staaten abgefunden, die die Koalitionsstreitkräfte gegen den Irak bildeten. Hunderttausende Kuwaiter waren nach Saudi-Arabien geflohen und berichteten bewegend über die Plünderungen in ihrem Land, die Entführungen, die Folterungen und die Morde an Zivilisten und die Vergewaltigung kuwaitischer Frauen
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