Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
Gefühl, verraten worden zu sein.
Natürlich hatte das Öl einigen Arabern auch Wohlstand beschert, aber hatten diese sich im Laufe dieses Prozesses nicht einfach immer mehr verwestlicht? Konsumdenken, Lasterhaftigkeit und Individualismus, nach Auffassung der radikalen Islamisten die Kennzeichen der modernen amerikanischen Kultur, drohten den Islam zu zerstören - sogar die Idee des Islams -, indem sie ihn einbanden in die globalisierte, durch wechselseitige Abhängigkeiten geprägte laizistische Wirtschaftswelt, die Bestandteil dessen war, was diese Männer meinten, wenn sie „Amerika“sagten. Indem sie die Moderne, den Fortschritt, Handel und Konsum und sogar das Vergnügen als Angriffe des Westens auf den Islam geißelten, ließen die Denker der Qaida für sich selbst so gut wie nichts übrig, was sie gut heißen konnten.
Wenn Amerika die Zukunft gehörte, dann erhoben die Islamisten Anspruch auf die Vergangenheit. Sie lehnten die Technologie oder die Wissenschaft nicht ab; viele Mitglieder von al-Qaida, wie etwa Ajman al-Sawahiri und Abu Hadscher, interessierten sich sogar sehr für wissenschaftliche Fragen. Dennoch hatten sie ein zwiespältiges Verhältnis zur Technologie, denn sie argwöhnten, dass diese die Reinheit des Geistes beeinträchtige. Diese Haltung spiegelte sich in Bin Ladens Interesse für Erdbewegungsmaschinen und die gentechnische Veränderung von Pflanzen einerseits und seiner Ablehnung von gekühltem Wasser andererseits. Durch die Rückkehr zur Herrschaft der Scharia konnte der Islam eine scharfe Trennlinie ziehen zum vordringenden Westen. Selbst jene Werte, die Amerika als universelle Errungenschaften pries - Demokratie, Transparenz, Herrschaft des Rechts, Menschenrechte, Trennung von Religion und Staat - waren in den Augen der Dschihadisten diskreditiert, weil sie westlicher Herkunft und daher modern waren. Die Pflicht von al-Qaida bestand darin, die islamische Nation auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die vom säkularen, modernistischen Westen ausgingen. Dazu, so erklärte Bin Laden seinen Männern, werde al-Qaida die Vereinigten Staaten von Amerika in einen Krieg gegen den Islam hineinziehen - „in eine groß angelegte Kampffront, die es nicht beherrschen kann“. 37
ÜBERALL in der arabischen Welt und in Teilen Afrikas und Asiens entstanden spontan salafistische Bewegungen. Diese Zusammenschlüsse waren größtenteils nationalistisch ausgerichtet, brauchten aber einen Ort, um sich zu organisieren. Sie fanden eine sichere Zuflucht in Khartoum, wo sie miteinander in Kontakt kamen und voneinander lernten.
Zu diesen Gruppen gehörten auch die beiden großen ägyptischen Organisationen, Sawahiris al-Dschihad und Scheich Omar Abdul Rahmans Islamische Vereinigung sowie nahezu alle gewaltbereiten radikalen Gruppen des Nahen Ostens. Die palästinensische Hamas strebte die Vernichtung Israels und die Errichtung eines sunnitischen islamischen Staates an; sie war bekannt dafür, dass sie Israelis ermordete und Palästinenser folterte und tötete, die sie für Kollaborateure der Israelis hielt. Eine andere palästinensische Gruppe, die Organisation von Abu Nidal, war noch gewalttätiger und unversöhnlicher und hatte in 20 Ländern bereits mehr als 900 Menschen getötet, hauptsächlich Juden, aber auch gemäßigte Araber. 38 Zu ihren bekanntesten Aktionen zählte ein Angriff mit Maschinenpistolen auf eine Wiener Synagoge, ein Granatenüberfall auf ein Restaurant in Paris, ein Bombenanschlag auf ein Büro von British Airways in Madrid, die Entführung eines Flugzeugs der Egypt Air nach Malta sowie blutige Überfälle auf die Flughäfen in Rom und Wien. Die Hisbollah, die im Libanon einen revolutionären schiitischen Staat errichten wollte, hatte bis dahin mehr Amerikaner umgebracht als jede andere Terrororganisation. Die von Iran unterstützte Hisbollah hatte sich auf Kidnapping und Flugzeugentführungen spezialisiert, war aber auch für eine Reihe von Bombenanschlägen in Paris verantwortlich. Auch der meistgesuchte Terrorist der Welt, Ilich Ramírez Sanchez, bekannt als Carlos der Schakal, bezog Quartier in Khartoum und gab sich als französischer Waffenhändler aus. 39 Carlos, der sich als Marxist verstand und der Volksfront für die Befreiung Palästinas angehörte, hatte 1975 in Wien elf Vertreter der OPEC entführt, nach Algerien ausfliegen lassen und Lösegeld für sie erpresst. Nachdem er den Glauben an den Kommunismus verloren hatte, setzte er jetzt auf den radikalen Islam, den
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