Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
er als die einzige Kraft betrachtete, die imstande sei, Amerikas kulturelle und wirtschaftliche Vormachtstellung zu brechen. Den in der ganzen Welt gesuchten Terroristen konnte man oft morgens im Meridien-Hotel in Khartoum antreffen, wo er Kaffee trank und Croissants aß.
Obwohl Bin Laden al-Turabi misstraute, ihn gar hasste, liebäugelte er mit einer von al-Turabis fortschrittlichsten und kontroversesten Ideen: einer Zusammenarbeit mit den Schiiten. Durch Abu Hadscher ließ er den Mitgliedern von al-Qaida die neue Leitlinie mitteilen: Jetzt gebe es nur noch einen Feind, den Westen, und die beiden Hauptströmungen des Islams müssten sich annähern, um diesen Feind zu vernichten. Bin Laden lud Vertreter der Schiiten ein, vor Qaida-Mitgliedern zu sprechen, und schickte einige seiner wichtigsten Gefolgsleute in den Libanon zu Trainingslagern der Hisbollah. Imad Mugnijah, der Leiter des Sicherheitsdienstes der Hisbollah, traf sich mit Bin Laden und erklärte sich dazu bereit, Qaida-Leute im Austausch für Waffen militärisch auszubilden. 40 Mugnijah hatte den 1983 verübten Selbstmordanschlag mit Autobomben auf die US-Botschaft und Stützpunkte des US-Marinecorps und der französischen Fallschirmjäger in Beirut geplant, bei dem mehr als 300 amerikanische und 58 französische Soldaten ums Leben gekommen waren und der zum Rückzug der US-Friedenstruppen aus dem Libanon geführt hatte. Diese Aktion hatte Bin Laden stark beeindruckt und ihm vor Augen geführt, dass Selbstmordattentate höchst wirkungsvoll sein konnten und dass Amerika trotz seiner Machtfülle kein Interesse an Konflikten besaß. 4
Am 29. Dezember 1992 explodierte eine Bombe im Mövenpick-Hotel in Aden, eine zweite ging vorzeitig auf dem Parkplatz des nahegelegenen Luxushotels Goldmohur hoch. Die Bombenleger wollten amerikanische Soldaten treffen, die nach Somalia unterwegs waren und die Operation „Restore Hope“absichern sollten, die internationale Hungerhilfe. Doch die Soldaten wohnten in einem anderen Hotel. Bin Laden sollte später die Verantwortung für diesen fehlgeschlagenen Angriff übernehmen, der in den USA jedoch kaum zur Kenntnis genommen wurde, da keine Amerikaner ums Leben gekommen waren. Die Soldaten reisten wie geplant nach Somalia weiter, aber die triumphierenden Qaida-Führer redeten sich ein, sie hätten die Amerikaner verscheucht und einen leichten Sieg errungen.
Dennoch musste jemand dafür bezahlen. Zwei Menschen waren ums Leben gekommen, ein australischer Tourist und ein Hotelangestellter aus dem Jemen, außerdem wurden sieben Menschen, überwiegend Jemeniten, schwer verletzt. So tauchten neben dem hocherfreuten, selbstgefälligen Getuschel im Sudan bald moralische Fragen auf, und manche al-Qaida-Mitglieder begannen darüber nachzudenken, welchen Weg ihre Organisation eingeschlagen hatte.
An einem Donnerstagabend sprach Abu Hadscher über die ethischen Fragen bei der Tötung Unschuldiger. Er erzählte den Männern von Ibn Taimijah, einem Gelehrten aus dem 13. Jahrhundert, der als einer der geistigen Väter der wahhabitischen Glaubenslehre gilt. Zu seiner Zeit musste sich Taimijah mit dem Problem der Mongolen auseinandersetzen, die Bagdad plünderten, aber dann zum Islam übertraten. War es erlaubt, an muslimischen Brüdern Rache zu üben? Ibn Taimijah erklärte, nur weil die Mongolen das Glaubensbekenntnis abgelegt hätten, seien sie noch keine wahren Gläubigen und dürften deshalb getötet werden. Vor den 30 oder 40 al-Qaida-Mitgliedern, die auf dem Teppich in Bin Ladens Salon saßen, die Ellbogen auf die Kissen stützten und Tee tranken, erzählte Abu Hadscher von der historischen Fatwa Ibn Taimijahs 41 : Jeder, der den Mongolen half, der Güter von ihnen kaufte oder ihnen etwas verkaufte oder sich auch nur in ihrer Nähe aufhielt, durfte getötet werden. War er ein guter Muslim gewesen, würde er ins Paradies eingehen; war er ein schlechter, würde er in die Hölle fahren - umso besser, wenn man ihn loswäre. So würden auch der tote Tourist und der Hotelangestellte ihre verdiente Belohnung erhalten.
Damit war eine neue Vision von al-Qaida geboren. Die beiden Fatwen von Abu Hadscher, die erste, durch die Angriffe auf amerikanische Soldaten gutgeheißen wurden, und die zweite, die sich auf die Tötung Unschuldiger bezog, verwandelten al-Qaida in eine weltumspannende Terrororganisation. Al-Qaida sollte sich künftig nicht mehr auf den Kampf gegen Armeen konzentrieren, sondern auf die Tötung von Zivilisten. Die
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