Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
geschleudert wurde. Der Tod des Mädchens erzürnte die Ägypter, die in den vergangenen zwei Jahren erlebt hatten, wie 240 Menschen durch die Islamische Vereinigung umgebracht worden waren. Obwohl bislang nur dieses eine Opfer auf das Konto der Dschihad-Gruppe ging, bewegte der Tod der kleinen Schajma die Menschen wie kein anderes Thema. Als ihr Sarg durch die Straßen Kairos getragen wurde, riefen die Leute: „Der Terrorismus ist der Feind Gottes!“ 40
Sawahiri war erschüttert über die öffentliche Empörung. „Der unbeabsichtigte Tod dieses unschuldigen Mädchens hat uns alle sehr geschmerzt, aber wir waren machtlos und wir mussten die Regierung bekämpfen“, schrieb er in seinen Erinnerungen. 41 Er bot der Familie des Mädchens eine Entschädigungszahlung an. Die Regierung verhaftete weitere 280 Mitglieder seiner Gruppe, sechs davon wurden zum Tod verurteilt. Sawahiri schrieb: „Sie wollten also, dass meine Tochter, die damals zwei Jahre alt war, und die Töchter meiner Kameraden zu Waisen wurden. Wer hätte um unsere Töchter geweint oder sich ihrer angenommen?“ 42
10 PARADISE LOST - DAS VERLORENE PARADIES
Junge Männer aus vielen Ländern strömten zu der staubigen, abgelegenen Soba-Farm, zehn Kilometer südlich von Khartoum, der Hauptstadt des Sudan. Nachdem sie von Bin Laden persönlich empfangen worden waren, begannen die al-Qaida-Rekruten mit ihrer Terrorismusausbildung. Ihre Motive waren unterschiedlich, aber alle teilten die Überzeugung, dass der Islam - in seiner reinen, ursprünglichen Form, unbeeinflusst durch die Moderne und nicht kompromittiert durch die Politik - imstande sei, die Wunden zu heilen, die der Sozialismus oder der arabische Nationalismus nicht hatten kurieren können. Sie waren zornig, hatten sich aber machtlos gefühlt in ihren Heimatländern. Sie verstanden sich nicht als Terroristen, sondern als Revolutionäre, die, wie alle Umstürzler in der Weltgeschichte, durch den schlichten Drang nach Gerechtigkeit zum Handeln getrieben worden waren. Einige hatten zu Hause grausame Unterdrückung erlebt, andere wurden einfach von der Lust am Chaos und am Blutvergießen angezogen. Von Anfang an gab es bei al-Qaida sowohl Reformer als auch Nihilisten. Die Dynamik, die sich zwischen diesen beiden Gruppen entfaltete, war unkontrollierbar und letztlich selbstzerstörerisch, doch aufgrund der Geschwindigkeit der Entwicklung war es nahezu unmöglich, die Nachdenklichen von den Psychopathen zu unterscheiden. Sie wurden zusammengeschweißt durch die charismatische Persönlichkeit Osama Bin Ladens, der beide Strömungen in sich vereinigte, den Idealismus und den Nihilismus, die zusammen eine explosive Mischung ergaben.
Angesichts der Unterschiedlichkeit der Rekruten und ihrer Beweggründe bestand Bin Ladens Hauptaufgabe darin, sie auf einen gemeinsamen Feind einzuschwören. Er hatte festgefügte Vorstellungen von Amerika, die er vor jeder neuen Gruppe von Rekruten darlegte. Amerika erscheine übermächtig, erklärte er ihnen, aber in Wirklichkeit sei es schwach und feige. Seht euch Vietnam an, schaut in den Libanon. Sobald Soldaten in Leichensäcken heimkehren, geraten die Amerikaner in Panik und ziehen sich zurück. Einem solchen Land muss man nur zwei oder drei harte Schläge versetzen, dann flieht es vor Angst. Amerika ist reich und verfügt über gewaltige Ressourcen, aber es mangelt ihm an Überzeugung. Es kann Glaubenskriegern nicht standhalten, die keine Angst haben vor dem Tod. Die Kriegsschiffe im Persischen Golf werden sich auf die Meere zurückziehen, die Bomber werden aus den Stützpunkten in Arabien verschwinden, und die Truppen am Horn von Afrika werden nach Hause zurückkehren.
Der Urheber dieser Parolen war nie in Amerika gewesen, aber er umgab sich gern mit Leuten wie Abu Rida al-Suri, Wael Dschuleidan und Ali Mohammed, die eine Weile dort gelebt hatten. Sie bestärkten ihn in seiner Vorstellung, dass Amerika ein aufgeblähtes, degeneriertes Land sei. Bin Laden brannte darauf, der letzten verbliebenen Supermacht einen Speer ins Herz zu rammen. Die erste Gelegenheit dazu sah er in Somalia.
Schon in den ersten Monaten nach der Niederwerfung Saddam Husseins, die noch vom Siegestaumel beherrscht waren, wurde die von Amerika beschworene „neue Weltordnung“in Somalia einer ersten Prüfung unterzogen. Die internationalen Bemühungen, der Hungersnot in Somalia ein Ende zu bereiten, die bereits 350 000 Menschenleben gefordert hatte, wurden von der UNO überwacht. 1 Wie im
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