Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
begann Sawahiris Untergrundzelle zu wachsen - 1974 hatte sie bereits 40 Mitglieder. Sawahiri war jetzt ein hoch gewachsener, schlanker junger Mann mit einer großen dunklen Brille und einem Schnurrbart, der parallel zur geraden Linie seines Mundes verlief. Sein Gesicht war schmaler geworden, und sein Haaransatz ging zurück. Er studierte an der medizinischen Fakultät der Universität Kairo, die eine Hochburg der islamischen Aktivisten war, doch er besaß keine der üblichen Kennzeichen eines Fanatikers. Er trug westliche Kleidung - üblicherweise einen Anzug mit Krawatte -, und sein politisches Engagement war zu dieser Zeit noch fast völlig unbekannt, nicht einmal seine Familie ahnte etwas davon. 14 Gegenüber den wenigen Menschen, die von seinen Aktivitäten wussten, lehnte Sawahiri eine Revolution, die unweigerlich zu Blutvergießen führen würde, strikt ab und setzte stattdessen auf eine schnelle militärische Aktion, um in einem Überraschungscoup die Zügel der Macht an sich zu reißen.
Allerdings verbarg er seine politischen Ansichten nicht vollständig. In Ägypten war es seit jeher üblich, auf politische Unterdrückung mit sarkastischem Humor zu reagieren. Seine Familie erinnerte sich an einen Witz, den Ajman damals häufig erzählte: Eine arme Frau schaut sich zusammen mit ihrem pummeligen kleinen Kind - ihrem go’alos in umgangssprachlichem ägyptischem Arabisch - eine Vorbeifahrt des Königs an. „Ich wünschte, Gott würde geben, dass auch du einmal so berühmt wirst“, bittet die Frau für ihren Sohn. Ein Offizier hört diese Bemerkung. „Was sagst du da?“, will er wissen. „Hast du den Verstand verloren?“Doch 20 Jahre später beobachtet derselbe Offizier, wie Sadat in einer großen Kolonne vorüberfährt. „Oh, go’alos, du hast es geschafft!“stöhnt der Offizier. 15
In seinem letzten Studienjahr an der medizinischen Fakultät führte Sawahiri den amerikanischen Journalisten Abdallah Schleifer, der später Professor für Medienforschung an der Amerikanischen Universität in Kairo wurde, über den Campus. Schleifer war eine wichtige Persönlichkeit in Sawahiris Leben. Der schlaksige, 1,95 Meter große Mann mit den drahtigen Haaren und einem Kinnbart, der noch aus seiner Beatnik-Phase aus den fünfzigern stammte, ähnelte verblüffend dem Dichter Ezra Pound. Er war in einer nicht-religiösen jüdischen Familie auf Long Island aufgewachsen. Nach einer marxistischen Phase, in der er sich mit den Black Panthers und Che Guevara angefreundet hatte, stieß er 1962 auf einer Reise durch Marokko auf die Sufi-Tradition des Islam. Eine Bedeutung von „Islam“lautet „Ergebung“, und genau dies tat Schleifer. Er trat zum Islam über, ersetzte seinen Vornamen Marc durch Abdallah und verbrachte sein restliches Berufsleben im Nahen Osten. Als Schleifer 1974 als Büroleiter von NBC News zum ersten Mal nach Kairo reiste, nahm ihn Sawahiris Onkel Mahfous Assam gewissermaßen unter seine Fittiche. Ein amerikanischer Jude, der zum Islam konvertiert war, stellte etwas Besonderes dar, und auch Schleifer war von Mahfous beeindruckt. Nach kurzer Zeit gewann er den Eindruck, unter der Obhut der gesamten Familie Assam zu stehen.
Schleifer bemerkte schnell, dass sich in der ägyptischen Studentenbewegung ein Wandel vollzog. Junge islamische Aktivisten tauchten auf dem Campus der Universitäten auf, zuerst im südlichen Landesteil, dann auch in Kairo. Sie nannten sich Gamaa Islamija („Islamische Vereinigung“). Ermutigt durch Sadats fügsame Regierung, die sie sogar heimlich mit Waffen versorgte 16 , damit sie sich gegen Angriffe der Marxisten und der Nasseristen verteidigen konnte, trieb die Islamische Vereinigung die Radikalisierung der ägyptischen Universitäten voran. Sie war ähnlich wie die Muslimbruderschaft in kleinen Zellen organisiert, so genannten ’anqud („Trauben“). 17 Bereits nach vier Jahren beherrschte die Islamische Vereinigung die Universitäten vollständig, und zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte Ägyptens stutzten sich männliche Studenten den Bart nicht mehr, und Studentinnen legten den Schleier an.
Schleifer brauchte jemanden, der ihm half, die Entwicklungen besser zu verstehen. Über Mahfous lernte er Ajman al-Sawahiri kennen, der sich bereit erklärte, ihn über den Campus zu führen und mit Informationen zu versorgen. „Er war hager und hatte eine sehr auffällige Brille“, erzählte Schleifer, der sich an die Radikalen erinnert fühlte, die er in den Vereinigten
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