Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
Süße, hole mich fort aus der Welt, fort, weit fort.
Osama packte der Zorn. Er befahl dem Fahrer, das Lied auszumachen. Der Fahrer weigerte sich. „Wir bezahlen dich“, erinnerte ihn Osama. „Wenn du die Musik nicht sofort ausmachst, kannst du uns wieder nach Dschidda zurückbringen!“Alle Mitreisenden im Wagen, auch Osamas Mutter und sein Stiefvater, schwiegen angesichts von Osamas Wutausbruch. Schließlich gab der Fahrer nach.
Osamas tiefe, unerschütterliche Frömmigkeit war ungewöhnlich für die gehobenen Kreise, denen er entstammte, aber viele junge Saudis suchten Zuflucht in intensivem religiösem Erleben. Da es kaum alternative Denkrichtungen gab, selbst nicht in Bezug auf den Islam, waren sie in einer zweidimensionalen geistigen Welt gefangen: Sie konnten nur mehr oder weniger extrem werden. Der Extremismus bot gewissermaßen eine Zuflucht; für Osama war er offensichtlich ein Schutzschild gegen die sexuellen Regungen, die ihn als pubertierenden jungen Mann umtrieben. Zudem fühlte er sich angezogen von der Spiritualität der Wüste, ihrer Einfachheit und Schlichtheit. Sein ganzes Leben lang sehnte er sich nach Askese wie nach einem Laster: die Wüste, die Höhle und sein noch unausgesprochener Wunsch, im Krieg anonym in einem Graben zu sterben. Aber es war schwierig, an diesem Selbstverständnis festzuhalten, wenn man im Familien-Mercedes durch das Land chauffiert wurde.
Gleichzeitig versuchte Osama, nicht allzu sehr als Tugendbold zu erscheinen. Obwohl er das Spielen von Musikinstrumenten eigentlich ablehnte, brachte er einige seiner Freunde dazu, eine Gesangsgruppe zu bilden. Sie nahmen sogar einige Stücke über den Dschihad auf, der für sie ein innerer Kampf war mit dem Ziel der Selbstvervollkommnung, kein heiliger Krieg. Osama erstellte Kopien für jeden von ihnen. Beim Fußball brachte Osama Thunfisch- und Käsebrote für die anderen Spieler mit, sogar an den Tagen, an denen er fastete. Seine Entschlossenheit und sein Auftreten nötigten den anderen Respekt ab. Aus Sittsamkeit verzichtete er auf die üblichen kurzen Fußballerhosen und spielte in langen Hosen und aus Achtung vor seinen Überzeugungen machten es ihm seine Mitspieler nach.
Häufig spielten sie in den ärmeren Vierteln von Dschidda. Beim Essen, auch wenn er fastete, teilte Osama seine Mitspieler in zwei Gruppen ein, die er nach Gefolgsleuten des Propheten benannte 96 , und stellte ihnen Fragen zum Koran. „Die Abu-Bakr-Gruppe hat gewonnen!“, rief er. „Gut, essen wir jetzt Kuchen.“ 97
Osama verlebte eine aufregende Jugendzeit, ging zum Bergsteigen in die Türkei und zur Großwildjagd nach Kenia. Auf dem Anwesen seiner Familie südlich von Dschidda hielt er sich ein Pferdegestüt mit bis zu 20 Pferden, sein Liebling war eine Stute namens al-Balka. Er hatte Spaß am Reiten und am Schießen, genau wie die Cowboys, die er früher in seinen Lieblingssendungen im Fernsehen gesehen hatte.
Osama begann sehr früh Auto zu fahren, und er liebte es, schnell zu fahren. Mitte der siebziger Jahre, als er 16 oder 17 Jahre alt war, hatte er einen großen weißen Chrysler, mit dem er in den Straßengraben fuhr und einen Totalschaden verursachte. Osama blieb erstaunlicherweise unverletzt. Danach bemühte er sich, nicht mehr zu rasen. Er fuhr einen Toyota-Jeep, dann einen Mercedes 280S - ein Auto, das auch ehrbare saudische Geschäftsleute fuhren. Nach wie vor aber fiel es ihm schwer, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen.
Seinem Lehrer Ahmed Badib entging der Wandel seines eigenwilligen jungen Schülers nicht. „Zuerst wollte sich Osama in der Firma beweisen“, berichtete Badib. „In der Familie Bin Laden gibt es das Gesetz: Wer zeigt, dass er ein Mann ist, kann ein Erbe beanspruchen. “Die Saudi Binladin Group hatte einen Vertrag über ein Großprojekt in Dschisan nahe der Grenze zum Jemen, an dem Osama sehr gern mitwirken wollte. „Ich entschloss mich, mit der Schule aufzuhören und meinen Zielen und Träumen zu folgen“, erzählte Bin Laden später. „Ich war überrascht, wie viel Widerstand mir entgegenschlug, vor allem von Seiten meiner Mutter, die weinte und mich anbettelte, es mir noch einmal zu überlegen. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig. Ich konnte den Tränen meiner Mutter nicht widerstehen. Ich musste an die Schule zurückkehren und meine Ausbildung beenden.“ 98
Im Jahr 1974, als er noch die Schule besuchte, heiratete Osama Bin Laden zum ersten Mal. Er war 17 Jahre alt, seine Braut 14 - es war Najwa Ghanem,
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