Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007

Titel: Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Wright
Vom Netzwerk:
DSCHAMAL CHALIFA wollte heiraten. In Saudi-Arabien ist es üblich, dass der Bräutigam einen Brautpreis bezahlt und vor der Hochzeit eine Wohnung einrichtet. Chalifa fand eine passende junge Frau, aber er hatte nicht genug Geld, um sich eine Wohnung zu nehmen. Bin Laden besaß ein Grundstück in der Nähe der Universität, auf dem baute er ein kleines Haus für seinen Freund. Doch Chalifas Braut war es zu spartanisch.
    Bin Laden nahm es ihr nicht übel; er machte sogar eine noch großzügigere Geste. Zu dieser Zeit lebte er im Haus seiner Mutter mit seinem Stiefvater und deren Kindern. Osama bewohnte mit seiner Familie das Erdgeschoss, das er in zwei Hälften teilte, indem er eine Wand durch das Wohnzimmer zog; dann bot er Chalifa und seiner Braut an, dort einzuziehen. „Ihr lebt auf dieser Seite, wir auf der anderen“, erklärte Bin Laden. Chalifa wohnte dort mit seiner Frau, bis er 1980 sein Studium an der König-Abdul-Asis-Universität abschloss.
    Als sie noch studierten, fällten Osama und Dschamal einen Entschluss. Sie entschieden sich für die Polygamie. Die Vielehe war in Saudi-Arabien mittlerweile verpönt. „Die Generation unserer Väter hat die Vielehe häufig missbraucht. Sie haben den Frauen nicht gleiche Rechte zugestanden“, räumte Dschamal ein. „Manchmal haben sie am gleichen Tag geheiratet und sich wieder scheiden lassen. Das ägyptische Fernsehen hat darüber berichtet, das machte einen sehr schlechten Eindruck. Also haben wir gesagt ‚Zeigen wir den Leuten, dass es auch anders geht.‘ “Im Jahr 1982 ging Osama Bin Laden mit gutem Beispiel voran und heiratete eine Frau aus der Familie Sabar in Dschidda, die vom Propheten abstammte. Diese Frau war hoch gebildet, hatte einen Doktorabschluss in Kinderpsychologie und lehrte an der Frauenfakultät der König-Abdul-Asis-Universität. Sie war sieben Jahre älter als Osama, gebar ihm ein Kind, einen Sohn, und wurde unter dem Namen Umm Hamsa bekannt. 111
    Zwei Familien im Griff zu behalten, war nicht einfach, aber Bin Laden war guten Mutes. Er stellte eine kleine Theorie der Vielehe auf. „Eine ist in Ordnung, es ist wie das Gehen. Zwei sind wie Radfahren: Es geht schneller, ist aber ein wenig unstabil. Drei sind wie ein Dreirad: stabil, aber langsam. Aber wenn wir dann vier haben! Ah, das ist ideal. Jetzt kann man jeden überholen!“
    Er kaufte einen heruntergekommenen Wohnblock mit vier Wohnungen an der Kreuzung Wadi as-Safa und Wadi Bischah, ungefähr eineinhalb Kilometer von der Wohnung seiner Mutter entfernt. Das Haus war grau und gelb gestrichen, und jede Wohnung besaß eine Fensterklimaanlage. In der Nähe lag eine alte Nudelfabrik, und da in Saudi-Arabien nur selten Hausnummern verwendet werden, wurde Bin Ladens neues Heim als das Haus an der Makkaroni-Straße bekannt. 112 Er brachte seine beiden Familien in getrennten Wohnungen unter. Einige Jahre später heiratete er eine Frau aus der Familie Scharif in Medina, die ebenfalls sehr gebildet war - sie besaß einen Doktortitel in arabischer Sprachwissenschaft und unterrichtete am örtlichen Lehrerkolleg. Die beiden bekamen drei Töchter und zwei Söhne, und seine Frau wurde nun Umm Chaled genannt. Osama Bin Ladens vierte Ehefrau, Umm Ali, stammte aus der in Mekka ansässigen Familie Gilaini und schenkte ihm drei Kinder.
    Bin Laden selbst tat sich in akademischer Hinsicht nicht hervor, war daran auch gar nicht interessiert und strebte auch keinen der ehrenwerten Berufe an, weder im Rechtswesen, noch im Ingenieurbereich oder in der Medizin, die ihm Unabhängigkeit und Ansehen verschafft hätten. Seine Brüder hatten an den besten Universitäten der Welt studiert, für ihn jedoch zählte viel mehr das Vorbild, das ihm sein ungebildeter Vater gegeben hatte. Er sprach ständig von ihm und pries ihn als Inbegriff der Tugend. Er sehnte sich nach ähnlichem Ruhm, doch er lebte in einer Gesellschaft, in der Individualität verpönt beziehungsweise der Königsfamilie vorbehalten war. Wie die übrigen Angehörigen der saudischen Oberschicht profitierte auch die Familie Bin Laden vom Wohlwollen der Herrscherfamilie, das sie keinesfalls aufs Spiel setzen wollte. Zudem waren sie Außenseiter - in den Augen der stammesbewussten Saudis galten sie noch immer als Jemeniten. Es gab kein politisches System, keine Zivilgesellschaft, keinen vorgezeichneten Weg zu Einfluss und Größe. Osama Bin Laden war nicht ausgebildet für eine Laufbahn in der Geistlichkeit, die das einzige Gegengewicht zur Macht der

Weitere Kostenlose Bücher