Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
verantwortlich war. Bewerber mussten eine sehr strenge Aufnahmeprüfung bestehen. Die Schule sollte ein Spiegelbild der saudischen Bevölkerung sein, wobei aber allein die Leistung zählte. Da diese Zielsetzung konsequent verfolgt wurde, mussten später mehrere Söhne von König Chaled (1975-1982) die Schule verlassen, während ihr Vater noch im Amt war.
Osama gehörte zu einer Klasse von 68 Schülern, von denen nur zwei der Königsfamilie entstammten. 89 Von seinen Klassenkameraden erwarben 50 später einen Doktorabschluss. „Er war ein normaler, kein herausragender Schüler“, berichtete Ahmed Badib, der Osama drei Jahre in naturwissenschaftlichen Fächern unterrichtete. Die Schicksale dieser beiden Männer, von Bin Laden und Badib, sollten sich in der Zukunft auf unerwartete Weise miteinander verbinden, als sich Bin Laden dem heiligen Krieg anschloss und Badib zum saudischen Geheimdienst ging.
Alle Schüler trugen westliche Kleidung - Jackett mit Krawatte im Winter, Hosen und ein Hemd während des restlichen Schuljahres. Osama unterschied sich von seinen Mitschülern, weil er groß und schlaksig war und körperlich nur langsam reifer wurde. Als seine Mitschüler schon Schnurr- oder Spitzbärte trugen, war Osama noch immer glatt rasiert, weil sein Bartwuchs nur schwach ausgeprägt war. Auf seine Lehrer wirkte er scheu, und er schien Angst davor zu haben, Fehler zu machen. 90
Im Alter von 14 Jahren erlebte Osama sein religiöses und politisches Erwachen. Manche schreiben seine Wandlung einem syrischen Sportlehrer zu, der Mitglied der Muslimbruderschaft war. 91 Osama hörte auf, Cowboyfilme anzuschauen. 92 Er weigerte sich, außerhalb der Schule westliche Kleidung zu tragen. Manchmal saß er vor dem Fernseher und weinte, wenn er Nachrichten aus Palästina hörte. „Als Jugendlicher war er noch immer ein nettes Kind“, erzählte seine Mutter später. „Aber er war nachdenklicher, traurig und bestürzt über die Situation in Palästina im Besonderen und die Lage der arabischen und muslimischen Welt im Allgemeinen. “ 93 Osama versuchte seine Gefühle seinen Freunden und der Familie zu erklären, doch seine Leidenschaftlichkeit verblüffte und verwunderte sie. „Er glaubte, die Muslime seien Allah nicht nahe genug und dass sich die muslimischen Jugendlichen mehr mit dem Spielen als mit dem Beten beschäftigen würden“, berichtete seine Mutter. Osama begann zweimal in der Woche zu fasten, am Montag und am Donnerstag, um den Propheten nachzueifern. Er ging gleich nach dem isha , dem Abendgebet, zu Bett. 94 Zusätzlich zu den fünf Gebetszeiten am Tag stellte er seinen Wecker auf ein Uhr nachts und betete dann allein. Osama wurde ziemlich unduldsam gegenüber seinen jüngeren Halbgeschwistern, vor allem wenn sie sich weigerten, früh aufzustehen, um am Morgengebet in der Moschee teilzunehmen.
Er wurde nur selten wütend, außer wenn es um sexuelle Dinge ging. Als er vermutete, dass sich einer seiner Halbbrüder für ein Dienstmädchen interessierte, schlug er ihn. Als er einmal in Beirut in einem Café saß, holte einer der Freunde seiner Brüder ein Pornoheft heraus. Osama machte dem Jungen klar, dass weder er noch einer seiner Brüder jemals wieder etwas mit ihm zu tun haben wollten. Anscheinend gab es in seinem gesamten Leben niemals einen Augenblick, in dem er den „Sünden des Fleisches“erlag, in irgendeiner Weise über die Stränge schlug oder den Verlockungen des Alkohols, des Rauchens oder des Glücksspiels nachgab. Auch das Essen interessierte ihn nur wenig. Er liebte Abenteuer, Gedichte … und Gott.
Osamas Mutter verfolgte die Entwicklung seiner religiösen Ansichten mit Sorge. Sie vertraute ihre Ängste ihrer jüngeren Schwester Leila Ghanem an. „Als er noch am Beginn seines Weges stand, machte sie sich große Sorgen“, erzählte ihre Schwester später. „Aber als sie sah, dass dies seine Überzeugung war und er nicht davon abrücken würde, sagte sie ‚Möge Gott ihn beschützen.‘“ 95
Einmal reiste Osama mit seiner Mutter nach Syrien, um dort Verwandte zu besuchen, was sie jeden Sommer taten. Der Fahrer legte eine Kassette der berühmten ägyptischen Sängerin Umm Kalthoum ein. Mit ihrer kraftvollen Stimme, die so eindringlich von Liebe und Sehnsucht sang, rührte sie ihre Zuhörer oft zu Tränen oder weckte die Leidenschaft in ihnen. Der Text war an die Verse der alten Wüstenbarden angelehnt:
Du bist kostbarer als meine Tage, schöner als meine Träume, Umfange mich mit dieser
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