Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
Königsfamilie darstellte. Seine Zukunft bestand darin, weiter im Familienunternehmen mitzuwirken, weit unten in der Rangordnung, respektiert in seinem familiären Umfeld, aber ohne die Chance, selbst einmal die Richtung zu bestimmen.
Bin Laden bedrängte seine älteren Brüder, ihn stärker in das Geschäft einzubeziehen, und schließlich übertrugen sie ihm einen Teilzeitjob in Mina, dem Komplex der heiligen Stätten in Mekka. Das Engagement sollte auf ein halbes Jahr befristet sein, aber Bin Laden erklärte: „Ich will wie mein Vater sein. Ich möchte Tag und Nacht ohne Pause arbeiten.“ 113 Er versuchte noch immer, sein Studium abzuschließen, und raste nach den Vorlesungen nach Mekka, wo seine Aufgabe darin bestand, Hügel einzuebnen, um Platz zu schaffen für neue Straßen, Hotels und Pilgerzentren, die die Saudi Binladin Group baute. Er beharrte darauf, unmittelbar mit den Männern zu arbeiten, die ihm unterstellt waren, und fuhr viele Stunden mit Bulldozern und Baggern umher. Es war mittlerweile unüblich geworden, dass Saudis körperliche Arbeit verrichteten - diese Tätigkeiten wurden nun größtenteils von Gastarbeitern aus den Philippinen oder dem indischen Subkontinent erledigt -, daher wirkte der Anblick des schlaksigen Sprosses des Firmengründers, der persönlich mit den schweren Baumaschinen hantierte und mit Schweiß und Staub bedeckt war, befremdlich und komisch. „Ich erinnere mich mit Stolz daran, dass ich das einzige Familienmitglied war, dem es gelang, Arbeit und Studium miteinander zu verbinden“, brüstete sich Bin Laden später; 114 in Wirklichkeit war aber auch er dieser Doppelbelastung nicht gewachsen. Am Ende des Semesters, ein Jahr vor dem Abschluss, verließ er die Universität und arbeitete nur noch für die Firma.
Osama Bin Laden ist 1,83 Meter groß 115 , also nicht jener Hüne, als der er immer hingestellt wird. Ein Bekannter erinnerte sich an ein Treffen mit ihm in dieser Zeit, bevor der Dschihad alles veränderte. „Jemand war gestorben, und wir gingen zu den Angehörigen, um ihnen unser Beileid auszusprechen“, berichtete der Freund. Bin Laden war jetzt Anfang 20, sah sehr gut aus, hatte eine helle Haut, einen Vollbart und breite, volle Lippen. Seine Nase war lang und komplex, oben schmal und gerade, sie erweiterte sich dann abrupt zu zwei breiten Flügeln und einer nach oben gerichteten Nasenspitze. Er trug ein schwarzes Stirnband um das weiße Kopftuch, die Haare darunter waren kurz, schwarz und gekräuselt. Seine Statur war hager vom Fasten und von der körperlichen Arbeit. Seine hohe, schnarrende Stimme und sein zurückhaltendes, träges Naturell verstärkten den Eindruck einer gewissen Zerbrechlichkeit. „Er war gut gelaunt und wirkte sehr einnehmend“, beobachtete der Freund. Gegenüber den anwesenden Religionsgelehrten trat Bin Laden auf, als sei er ihnen nahezu ebenbürtig. Als er sprach, strahlte er eine bewundernswerte Sicherheit und Gelassenheit aus. Alle Anwesenden wurden von ihm in den Bann gezogen. „Es erstaunte mich, dass er aus einer so stark hierarchisch geprägten Familie kam“, sagte sein Freund, „und doch selbst die Hierarchie aufgebrochen hat.“
4 VERÄNDERUNG
Faisal schickte seine Söhne zur Ausbildung nach Amerika. Turki, der jüngste, wurde 1959 mit 14 Jahren in die Lawrenceville-Schule in New Jersey gesteckt. Das war eine Vorbereitungsschule der Oberschicht, doch Turki lernte hier den Egalitarismus der Amerikaner kennen. Am ersten Tag stellte sich ihm ein anderer Schüler vor, indem er ihm einen Klaps auf den Hintern gab und ihn nach seinem Namen fragte. Als Turki antwortete, fragte der Schüler: „Wie der Thanksgiving-Truthahn [Turkey]?“ 1 Keiner verstand, wer er eigentlich war, und es kümmerte auch niemanden, doch diese neue Erfahrung ermöglichte es ihm, ein neuer Mensch zu werden. Seine Klassenkameraden riefen ihn „Turk“oder „Feaslesticks“. 2
Turki sah blendend aus, hatte eine hohe Stirn, gewellte schwarze Haare und ein tiefes Grübchen im Kinn. Er besaß die scharfen Gesichtszüge seines Vaters, aber nicht die Wildheit, die in dessen Augen aufblitzte; er war eher nach innen gekehrt und nachdenklich. Man wählte ihn zwar zum Präsidenten des Französischen Klubs, doch er war mehr ein Sportler als ein Geistesmensch. Er spielte Fußball und gehörte 1962 bei der Junioren-Olympiade zur Fechtmannschaft von New Jersey. Turki war hochintelligent, ließ aber bisweilen die nötige Konzentration vermissen. Nach dem Schulabschluss
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