Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
durchgreifenden Wandel erfasst: Straßen, Städte und Schulen entstanden, Gastarbeiter und Dollarnoten strömten ins Land, und das Bewusstsein von der Welt und dem eigenen Platz in ihr veränderte sich nachhaltig. Den Menschen erschien ihr Land fremd - und auch ihr eigenes Leben. Hineingestoßen in einen globalen Markt von Ideen und Werten, suchten viele Saudis in ihren Traditionen nach Orientierungspunkten und fanden sie in den unerbittlichen Glaubenssätzen ihrer Auslegung des Islams. Der Wahhabismus bildete einen Damm gegen den reißenden Strom der Moderne. Viele Menschen, nicht nur Extremisten, fürchteten, dass der rasante Fortschritt die herausragende Eigenschaft Arabiens untergraben würde, seine Heiligkeit.
Unvorstellbarer Reichtum war über diese schlichten Wüstennomaden gekommen - ein Geschenk Gottes für ihre Frömmigkeit, davon waren sie überzeugt. Doch paradoxerweise unterminierte dieses Geschenk sämtliche Bereiche ihrer Identität. In den beiden Jahrzehnten nach dem ersten Ölboom in den fünfziger Jahren erreichte das durchschnittliche Einkommen der Bewohner Saudi-Arabiens fast das Niveau der USA 6 und stieg in einem Tempo, das erwarten ließ, dass das Wüstenkönigreich bald zur größten Wirtschaftsmacht der Welt werden würde. Diese verlockenden Aussichten überdeckten die Tatsache, dass scharfe Klassengegensätze dieses Land spalteten, das sich nach wie vor als eine erweiterte Stammesgemeinschaft betrachtete. Der verschwendungssüchtige Saudi wurde weltweit zu einem Klischee für Gier, Prahlerei, Korruption, Heuchelei und - was ihn in seiner Würde noch mehr kränkte - zu einer Witzfigur. Die bedenkenlose Verschleuderung hoher Geldbeträge an Spieltischen, das Trinken, die Hurerei, die Konsumsucht der saudischen Frauen, die in ihren Silbernerzen und bepackt mit Einkaufstaschen über die Champs-Elysées schlenderten, der beiläufige Kauf von Schmuck für Summen, die dem Staatshaushalt mancher Länder entsprachen - all dies belustigte eine Welt, die in banger Erwartung einer Zukunft lebte, in der gewissermaßen alles den Saudis gehören würde. Diese Befürchtungen wurden verstärkt durch das Ölembargo von 1973, durch das der Ölpreis nach oben schoss und das die saudische Regierung vor ein ernsthaftes Problem stellte: Sie wusste nicht, was sie mit dem Geldsegen anfangen sollte. Die Verschwendung im großen Stil, sowohl im öffentlichen wie im privaten Raum, zeigte nur, dass Saudi-Arabien anscheinend über unerschöpfliche Geldmittel verfügte - zumindest, soweit es die Königsfamilie betraf.
Sie herrschte nicht nur über das Land, sie besaß es auch. Alles Land, auf das sonst niemand einen rechtlichen Anspruch hatte, gehörte dem König; er allein entschied, wer Eigentum erwerben durfte. Im Zuge der wirtschaftlichen Expansion des Landes rissen sich die Onkel und Tanten, die Brüder und Schwestern, die Nichten und Neffen des Königs die besten Grundstücke unter den Nagel. Noch immer nicht zufrieden gestellt, mischten sich die Prinzen als „Agenten“und „Berater“in das Wirtschaftsleben ein und rafften Milliarden Dollar an sich in Form von Provisionen und Schmiergeldern. Die Wirtschaft hatte diesen Tribut zu leisten, obwohl sich Al Saud, die Königsfamilie, bereits 30 bis 40 Prozent der Öleinnahmen des Landes angeeignet hatten, die als Unterhalt an Familienmitglieder flossen. 7 Al Saud personifizierte die Korrumpierung der saudischen Identität, was bei vielen Untertanen umstürzlerische Neigungen schürte.
Doch in dieser Gesellschaft, die kaum über feste Institutionen verfügte, bildete die Königsfamilie eine eindeutig fortschrittliche Kraft. Im Jahr 1960 hatte Kronprinz Faisal gegen den Widerstand der wahhabitischen Geistlichkeit die Schulbildung für Mädchen eingeführt; zwei Jahre später schaffte er offiziell die Sklaverei ab. Er überredete US-Präsident John F. Kennedy, amerikanische Truppen zu schicken, um das Königreich in einem Grenzkrieg mit dem Jemen zu unterstützen. Er führte das Fernsehen ein, obwohl einer seiner Neffen 1965 bei einer Protestkundgebung gegen die Inbetriebnahme des Fernsehsenders getötet wurde. Er hatte mehr Handlungsfreiheit als sein Vorgänger, weil seine Gläubigkeit nicht in Zweifel gezogen wurde, doch er hütete sich vor den Extremisten, die das Denken und Verhalten der saudischen Bevölkerung argwöhnisch überwachten. Für manche Strenggläubigen bestand Faisals verwerflichste Tat darin, dass er die Ulama, die Geistlichkeit, „gekauft“hatte,
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