Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
seiner Jugend oft aufgesucht hatte. 11 Als die ägyptische Regierung Schukri Mustafas Forderung nach Geld und öffentlicher Unterstützung ablehnte, ermordete Mustafa den alten Scheich. Sein Leichnam wurde auf einer Straße in Kairo gefunden, man hatte ihm die Hände auf den Rücken gefesselt und den Bart teilweise ausgerissen.
Die ägyptische Polizei nahm umgehend die meisten Mitglieder der Takfir-Gruppe fest und machte Dutzenden von ihnen im Schnellverfahren den Prozess. Schukri Mustafa und fünf weitere Männer wurden hingerichtet. Dem revolutionären Modell, andere Muslime aus der Gemeinschaft der Gläubigen auszuschließen - und dadurch ihre Ermordung zu rechtfertigen -, war damit anscheinend ein Ende bereitet worden. Doch unterschwellig hatte sich eine abgewandelte Form des Takfir in den Köpfen festgesetzt. Diese Art von Dschihad stieß vor allem in Oberägypten auf starke Resonanz, wo Schukri Mustafa in seinen jungen Jahren missioniert hatte (und wo Dr. Fadl aufgewachsen war). Reste der Gruppe belieferten Sawahiris Kameraden von al-Dschihad mit Granaten und Munition, wie sie bei der Ermordung von Sadat verwendet worden waren. Einige Anhänger exportierten die aufrührerische Lehre in die nordafrikanischen Länder, auch nach Algerien, wo Dr. Ahmed mit ihr in Berührung kam. 12
Das Konzept des Takfir ist das Spiegelbild des Islams; es kehrt seine grundlegenden Prinzipien um, wahrt jedoch den Anschein von Orthodoxie. Im Koran wird ausdrücklich erklärt, dass Muslime niemanden töten dürfen, außer als Bestrafung für Mord. Der Mörder eines Unschuldigen, warnt der Koran, werde genauso eingestuft, „als habe er die gesamte Menschheit ermordet“. Die Ermordung von Muslimen ist ein noch schlimmeres Verbrechen. Wer eine solche Tat begeht, heißt es im Koran, dem werde dies „in der Hölle vergolten werden, in der er auf ewig verharren muss“. Wieso konnten dann Organisationen wie al-Dschihad oder die Islamische Vereinigung die Anwendung von Gewalt gegen andere Muslime gutheißen zum Zwecke der Machterlangung? Sajid Qutb hatte dazu den Weg gewiesen durch seine These, dass ein Führer, der in seinem Land nicht die Scharia durchsetzt, ein Ketzer sein müsse. Nach einem vielzitierten Satz des Propheten darf das Blut eines Muslim nur unter drei Voraussetzungen vergossen werden: als Strafe für Mord, für Ehebruch sowie für den Abfall vom Islam. 13 Der fromme Anwar al-Sadat war das erste moderne Opfer dieser Umkehrlogik des Takfir.
Die neuen „Takfiristen“, wie Dr. Fadl und Dr. Ahmed, weiteten das Todesurteil beispielsweise auch auf jeden aus, der sich in die Wahllisten eintragen ließ. Ihrer Auffassung nach richtete sich die Demokratie gegen den Islam, weil sie Macht, die nur Gott zustand, in die Hände von Menschen legte. Daher war jeder, der zum Wählen ging, ein Abtrünniger und hatte sein Leben verwirkt. Dies galt auch für all jene, die ihre freudlose Auffassung des Islams nicht teilten - auch für die Mudschahidin-Führer, die sie vorgeblich unterstützt hatten, und sogar für die Afghanen, die sie als Ungläubige betrachteten, weil sie keine Salafisten waren. Die neuen Takfiristen maßten sich das Recht an, gewissermaßen jeden zu töten, der ihnen im Weg stand; sie hielten dies sogar für eine göttliche Pflicht. 14
Bis zu seiner Ankunft in Peschawar hatte Sawahiri noch niemals wahlloses Morden gutgeheißen. Er wollte einen politischen Wandel mit chirurgischer Präzision durchführen: Ein schneller, gezielter Umsturz war seine Idealvorstellung, der er seit jeher anhing. Doch als er zusammen mit Dr. Fadl und Dr. Ahmed im Krankenhaus des Roten Halbmonds arbeitete, wurde die moralische Grenze zwischen politischem Widerstand und Terrorismus zunehmend undeutlicher. Seine Freunde und früheren Gefängnisgenossen bemerkten eine Persönlichkeitsveränderung an ihm. Der bescheidene, umgängliche Arzt, der stets großen Wert auf eine stimmige Argumentation legte, wurde nun aufbrausend, unversöhnlich und seltsam unlogisch. Er griff harmlose Aussagen auf und verdrehte sie auf bizarre und böswillige Weise. Vielleicht zum ersten Mal, seit er erwachsen geworden war, durchlebte er eine Identitätskrise.
In einem Leben, das so zielgerichtet und geradlinig verlief wie das von Sawahiri, lassen sich nur wenige Wendepunkte ausmachen. Einer war die Hinrichtung von Sajid Qutb, als Sawahiri 15 Jahre alt war; dieses Ereignis war der Ursprung all dessen, was später folgte. Die Folter konnte Sawahiri nicht verändern, sie
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