Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
durchführten, und er kannte sich auch gut in der Finanzwelt aus. Der sieben Jahre ältere Sawahiri war Chirurg und verfügte über profunde Kenntnisse in den modernen Naturwissenschaften und Medizintechnologie. Beide stammten aus Familien, die in der arabischen Welt bekannt und angesehen waren. Beide sprachen mit leiser Stimme, waren sehr gläubig und von ihren jeweiligen Regimen politisch unterdrückt worden.
Jeder der beiden hatte etwas, das dem anderen fehlte. Sawahiri brauchte Geld und Kontakte, worüber Bin Laden im Übermaß verfügte. Bin Laden, ein glühender Idealist, suchte nach einer Richtung, einer Zielorientierung; der erfahrene Propagandist Sawahiri lieferte sie ihm. Sie waren keine Freunde, sondern Verbündete. Jeder dachte, er könnte den anderen benutzen, und jeder von ihnen wurde in eine Richtung gezogen, in die er ursprünglich nicht wollte. Der Ägypter hatte wenig Interesse an Afghanistan und betrachtete es lediglich als ein Aufmarschgebiet für die Revolution in seinem eigenen Land. Er wollte den afghanischen Dschihad dazu nutzen, seine zerfallene Organisation wieder aufzubauen. In Bin Laden fand er einen reichen, charismatischen und bereitwilligen Sponsor. Der junge Saudi war ein frommer Salafist, aber kein politischer Denker. Bevor er Sawahiri kennen lernte, hatte er nie seine Stimme erhoben gegen seine eigene Regierung oder andere repressive Regime in Arabien. Ihm ging es in erster Linie darum, die Ungläubigen aus einem muslimischen Land zu vertreiben, aber er hegte auch ein noch diffuses Verlangen danach, Amerika und den Westen für etwas zu bestrafen, was er als Verbrechen gegen den Islam betrachtete. Durch die Dynamik ihrer Beziehung wurden Sawahiri und Bin Laden zu Menschen, die sie alleine nie geworden wären; die Organisation, die sie schufen - al-Qaida - war ein Resultat dieser beiden Einflüsse, eines ägyptischen Einflusses und eines saudischen. Jeder musste Kompromisse eingehen, um sich den Zielen des anderen anzupassen; im Ergebnis sollte al-Qaida einen einzigartigen Weg einschlagen, den Weg des globalen Dschihad.
In einem seiner Vorträge im Krankenhaus sprach Bin Laden darüber, dass man amerikanische Produkte boykottieren müsse, um den Kampf der Palästinenser zu unterstützen. Sawahiri warnte ihn daraufhin, dass er sich durch einen Angriff auf Amerika auf gefährliches Terrain begeben würde. „Ab jetzt solltest du dich um eine andere Art von Schutz bemühen“, erklärte Sawahiri. „Du solltest dein ganzes Sicherheitssystem ändern, denn jetzt sind auch die Amerikaner und die Juden hinter dir her, nicht mehr nur die Kommunisten und die Russen, denn du hast die Schlange am Kopf gepackt.“ 17
Sawahiri bekräftigte seinen Vorschlag mit dem Angebot, eine disziplinierte Elitetruppe der Mudschahidin zu formen. Sie sollte sich deutlich unterscheiden von den jungen Leuten und Wandervögeln, die den Großteil der arabischen Gemeinde ausmachten. Sawahiris Rekruten waren Ärzte, Ingenieure und Soldaten. Sie waren es gewohnt, im Geheimen zu arbeiten. Viele von ihnen hatten bereits im Gefängnis gesessen und für ihre Glaubensauffassungen einen hohen Preis bezahlt. Sie sollten die Anführer von al-Qaida werden.
ES SCHNEITE im Februar 1988, als der ägyptische Filmemacher Essam Deras und seine eilig zusammengestellte Mannschaft an der Löwenhöhle ankamen. Mudschahidin mit Patronengurten und Kalaschnikows bewachten den Eingang zur Haupthöhle, der unter einer überhängenden Klippe lag. Der Anblick der Videokameras beunruhigte sie. Deras erklärte, dass er die Erlaubnis von Bin Laden besitze, die Löwenhöhle zu besuchen und die Araber zu filmen, dennoch mussten er und seine Crew eine Stunde in der bitteren Kälte warten. Schließlich kam ein Wächter und teilte mit, dass Deras eintreten könne, sein Team aber draußen bleiben müsse. Verärgert lehnte Deras ab. „Entweder wir gehen alle hinein oder gar keiner“, erklärte er.
Nach einigen Minuten erschien Sawahiri und stellte sich als Dr. Abdul Muis vor. Er entschuldigte sich für den unfreundlichen Empfang und lud die Männer zu Tee und Brot ein. In dieser Nacht schlief Deras auf dem Boden der Höhle neben Sawahiri, der gekommen war, um den Bau eines Lazaretts in einem der Tunnel zu beaufsichtigen.
Die Ägypter hatten ihr eigenes Lager im Komplex der Löwenhöhle. Bin Laden hatte sie auf seine Gehaltsliste gesetzt und zahlte jedem der Männer monatlich 4500 saudische Rial (rund 1200 Dollar) als Unterstützung für ihre
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