Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
sich öffentlich gegen „Verfassungen und von Menschen gemachte Gesetze, gegen die Demokratie, gegen Wahlen und gegen das Parlament“auszusprechen und all jenen Regierungen, die sie früher unterstützt hatte, den Dschihad erklären. Dieses mit privaten Mitteln publizierte Werk wurde überall in Peschawar verbreitet. „Die Bücher wurden kostenlos verteilt“, erinnerte sich ein Muslimbruder, der damals in Peschawar arbeitete. „Wenn man Nahrungsmittel abholen wollte, fragte einen der Mitarbeiter, ob man ein oder zwei Exemplare des Buches mitnehmen wolle.“ 6
Bald kam ein weiterer Untergrundkollege von Sawahiri aus dessen Kairoer Tagen, ein Arzt namens Sajid Imam, dessen Kampfname Dr. Fadl lautete. 7 Die beiden arbeiteten im selben Krankenhaus in Peschawar. Wie Sawahiri war auch Dr. Fadl ein Schriftsteller und Theoretiker. Da er älter war und während Sawahiris Haft die Dschihad-Gruppe geführt hatte, übernahm er jetzt abermals die Leitung der Organisation. Auch Sawahiri legte sich einen Kampfnamen zu: Dr. Abdul Muis (auf Arabisch heißt abd „Sklave“, und muis bedeutet „Verleiher der Ehre“, einer der 99 Namen Gottes). Zusammen mit Dr. Fadl begann er unverzüglich al-Dschihad wieder aufzubauen und rekrutierte neue Mitglieder unter den jungen Ägyptern, die sich den Mudschahidin angeschlossen hatten. Zuerst nannte sich die Vereinigung „Organisation des Dschihad“, dann wurde der Name in „Islamischer Dschihad“geändert. Doch es handelte sich nach wie vor um die Gruppe al-Dschihad.
Das von Kuwait getragene Krankenhaus des Roten Halbmonds wurde zum Zentrum einer Bewegung, die die arabisch-afghanische Gemeinde entzweien sollte. 8 Unter dem Einfluss eines Algeriers namens Dr. Ahmed al-Wed, der für seine Blutrünstigkeit bekannt war, entwickelte sich das Hospital zur Keimzelle einer neuen gewaltsamen Ideologie, die später die Mudschahidin spalten und zur Rechtfertigung jener grausamen Auseinandersetzungen dienen sollte, die sich unmittelbar nach dem Ende des Afghanistankrieges in allen muslimischen arabischen Ländern ausbreiteten. 9
Die Doktrin des Takfir („für ungläubig erklären und exkommunizieren“) sorgte seit jeher für Konflikte innerhalb des Islams. Mitte des 7. Jahrhunderts rebellierte die Sekte der Kharidschiten gegen die Herrschaft Alis, des vierten Kalifen. Auslöser dieser Revolte war Alis Entscheidung, mit einem politischen Gegner lieber einen Kompromiss zu schließen, anstatt ihn zu bekriegen. Die Kharidschiten nahmen für sich in Anspruch, als einzige dem wahren Glauben zu folgen, und geißelten jeden, der nicht mit ihnen übereinstimme, als Ketzer, wozu sie auch Ali zählten, den geliebten Schwiegersohn des Propheten, den sie schließlich umbrachten.
Anfang der siebziger Jahre entstand in Ägypten eine Gruppe namens al-Takfir wa’l-Hidschra („Exkommunikation und Auszug“), ein Vorläufer von al-Qaida. Ihr Führer Schukri Mustafa, der bis 1971 in Ägypten im Gefängnis gesessen hatte, scharte einige tausend Anhänger um sich. Sie lasen die Werke von Qutb und entwickelten Pläne für die Zeit, wenn sie im Exil stark genug geworden sein würden, um die Ungläubigen zu vernichten und mit der großen Abrechnung zu beginnen. Unterdessen zogen sie durch die westliche Wüste Ägyptens und schliefen in Berghöhlen. 10
Die Kairoer Zeitungen nannten Mustafas Anhänger ahl al-kahf („Höhlenmenschen“) unter Anspielung auf die sieben Schläfer von Ephesus. Diese christliche Legende erzählt von sieben Hirten, die sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören. Zur Strafe ließ sie der römische Kaiser Decius in einer Höhle in der heutigen Türkei einmauern. Drei Jahrhunderte später wurde laut der Legende die Höhle entdeckt, und die Hirten erwachten in dem Glauben, sie hätten nur eine Nacht geschlafen. Im Koran bezieht sich eine ganze Sure, ein Kapitel mit der Überschrift „Die Höhle“, auf diese Geschichte. Wie Schukri bediente sich auch Bin Laden der Assoziationen, die das Bild der Höhle bei Muslimen wachruft. Die Methoden des Rückzugs, der Vorbereitung und der Tarnung, die später das Vorgehen der Schläferzellen von al-Qaida prägen sollten, wurden bereits 1975 von al-Takfir wa’l-Hidschra entwickelt.
Zwei Jahre später entführten Mitglieder der Gruppe in Kairo den ehemaligen Minister für religiöse Angelegenheiten Scheich Mohammed al-Dhahabi, einen bescheidenen und vornehmen Gelehrten, der häufig in der Masdschid al-Nur predigte, einer Moschee, die Sawahiri in
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