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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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netter Kerl, aber er kann es einfach nicht lassen. Die Questura kennt er von innen fast so gut wie ich.«
    »Die Sache mit dem Zweitschlüssel gefällt mir nicht«, sagte Canovella.
    »Ich nehme ihn mir morgen vor.«
    »Und der Nachbar des Fräuleins?«
    »Keine Ahnung. Er hat ihr wohl geholfen. Bei uns kennt ihn niemand.«
    Walter, der seit sechzehn Jahren die »Gran Malabar« an der Piazza San Giovanni führte, war mächtig in Form und schenkte ihnen ein Glas nach dem anderen ein. Natürlich hatte er schon von der sensationellen Entdeckung gehört. Die Sache hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und einem guten Wirt entgeht nichts.
    »Jede Wette, daß das Zeug zur Sammlung von Diego de Henriquez gehört«, rief er quer durchs Lokal, als Laurenti und Canovella eintraten. »Das war ein Mann, den viele nicht vergessen können.«
    »Wer?« fragte Canovella, der zu kurz in der Stadt war, als daß er die alten Geschichten kennen konnte.
    »Ein Mythos!« Walter hatte leuchtende Augen. »Ich kannte ihn gut. Ein verrückter Sammler. Nicht nur Waffen, alles was die Stadt betraf. Er hatte sogar den Ponte Verde gekauft, die Drehbrücke über den Canal Grande, als man ihn durch die heutige Brücke ersetzte. Allerdings nie bezahlt, worauf ein Schrotthändler ihn wieder abholen und einschmelzen ließ. Und natürlich die Inschriften an den Wänden der Todeszellen der Risiera, die er alle übertragen hatte, bevor sie übermalt wurden. Das hat ihn vermutlich das Leben gekostet. Sein Tod ist bis heute ein Rätsel.«
    Canovella interessierte sich nicht besonders für die alten Geschichten dieser Stadt. Er studierte das Etikett der Weinflasche und überließ es Laurenti, Walter das zu erzählen, was am nächsten Morgen in der Zeitung stehen würde. Eine junge Frau kam in die Bar gehuscht, die Schlüsselanhänger und Kärtchen auf dem Tresen verteilte. Hinkend machte sie ihre Runde. Einige Gäste hatten Mitleid und gaben ihr Geld.
    »Als ich sie zum letzten Mal gesehen habe, hinkte sie noch nicht«, sagte Laurenti und zog Canovella am Ärmel, damit er sich umdrehte.
    »Armes Mädchen«, sagte Canovella. »Hast du ihren Hals gesehen. Als hätte sie sich auf der nackten Haut eine Zigarette ausgedrückt. Die Jungen heute fügen sich manchmal selbst Schmerzen zu, als fühlten sie sonst nicht, daß sie leben.«
    »Das erzählen die Psychologen. Zivilisationskrankheit. Ich glaube nicht an solche Dinge.« Laurenti schaute ihr nach, als sie mit schleppendem Gang die »Malabar« verließ. »Vielleicht sollten wir uns um sie kümmern.«
    »Ich habe ihn gekannt«, sagte Walter, der wieder zu ihnen zurückgekehrt war. »Ich war zwar noch jung, aber ich erinnere mich genau. Meine Mutter hatte damals eine Trattoria in Scorcola, wo er damals noch ganz in der Nähe wohnte. Das war, bevor er in sein Museum umzog. Er kam oft bei uns vorbei, und manchmal mußte ich ihn nach Hause bringen, wenn er zu viel getrunken hatte. Ein fanatischer Sammler. Stell dir vor, er bückte sich sogar, wenn irgendwo ein Bonbonpapierchen auf der Straße lag. Er sammelte auch solches Zeug. Alles. Ihn faszinierte auch alles Geschriebene, nicht nur Waffen.«
    Und dann erzählte Walter lange und mit vielen Details von den Gewalttätigkeiten, die in den Siebzigern die Stadt beherrschten, als er bereits als junger Stadtrat im Gemeindeparlament saß. Von jener Zeit, in der Diego de Henriquez in einer Lagerhalle in der Via San Maurizio, wo er mit einem deutschen Stahlhelm auf dem Kopf und einer Samuraimaske im Gesicht in einem Sarg schlief, eines Nachts unter mysteriösen Umständen verbrannte. Links- und Rechtsextreme, Anschläge, gespanntes Klima. Eine Menge Delikte ging auf das Konto der Neofaschisten. Schlägereien in der Viale XX Settembre, die angesägte Gasleitung im Studentenheim, die nur zufällig entdeckt wurde. Die Bombe in der slowenischen Schule, der Sprengstoffanschlag von Peteano, der drei Carabinieri das Leben kostete. Dahinter stand die Geheimorganisation Gladio, die von den Amerikanern aufgebaut und gelenkt worden war, angeblich als Geheimwaffe gegen einen kommunistischen Umsturz. Die versuchte Flugzeugentführung in Ronchi dei Legionari, das Waffenlager auf dem Karst in einer Höhle bei Aurisina, das ebenfalls zu Gladio gehörte. Dann die Zeit, als die Geheimloge P2 aufflog, zu der auch Triestiner Bürger gehörten, vor allem aber Männer aus Politik und Wirtschaft, bis hin zu Berlusconi. Eine demokratische Veränderung Italiens war kaum das Ziel dieser Leute

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