Der Tod wirft lange Schatten
hatte, als der mit siebenhundert Komparsen die Ankunftsszene beim amerikanischen Zoll in New York für den Paten, Teil II, im Gebäude des alten Fischmarkts in Triest gedreht hatte. Das war ein Jahr vor der Ermordung von Diego de Henriquez und vier Jahre vor dem anderen mysteriösen Mordfall an einem homosexuellen Universitätsprofessor namens Perusini, einem schwerreichen Mann aus dem Friaul, der sein gesamtes Vermögen dem Malteserorden hinterließ.
Galvano wurde für Zeitungen interviewt und stritt in Talk-Shows mit Gleichaltrigen darum, wer das bessere Gedächtnis hatte. Auf einmal war er wieder eine stadtbekannte Größe und wurde sogar auf der Straße angesprochen oder in den Bars zum Kaffee eingeladen. Aber die Kränkung darüber, daß man ihn aus dem Beruf aufs Altenteil abgeschoben hatte, verwand er trotzdem nicht. Er fühlte sich mißachtet und machte daraus keinen Hehl.
In den letzten Tagen hatte man den ehemaligen Gerichtsmediziner erneut befragt. Um den fanatischen Waffensammler Diego de Henriquez war es gegangen. Seit einiger Zeit wurde auf den Friedhöfen geplündert und reihenweise waren Wappen und Fotografien aus alten Grabsteinen herausgebrochen worden. Stets waren es Gräber von Persönlichkeiten, die eng mit der Stadtgeschichte verflochten waren. Auch dieser de Henriquez zählte dazu, um den seit seinem unaufgeklärten Tod so viele Mythen und Legenden entstanden waren.
»Was glauben Sie wohl, wieviel das Familienwappen vom Grabstein dieses Mannes einem Sammler wert ist?« machte sich Galvano wichtig. »Manche Menschen finden das sicher komisch! Vom Friedhof auf den Antiquitätenmarkt.«
Die Entdeckung
Es war ihr zweiter Tag in Triest gewesen und inzwischen waren fast zwei Wochen vergangen. Es war so viel passiert, daß sie Mühe hatte, alles in der richtigen Reihenfolge zu erinnern.
Es war nicht leicht gewesen, die kleine Straße zu finden. Mehrfach hatte sie sich verfahren und mußte wiederholt den Stadtplan zu Hilfe ziehen. Es war ihr gelungen, den Cinquecento auch ohne die Anleitung Angelos zu starten und den Zwerg hinunter zum Industriegebiet zu lenken, das nur einen Katzensprung von Servola entfernt war.
Sie freute sich über den Luftzug, der durch das geöffnete Faltdach hereinzog, und über das lustige Blubbern des kleinen Motors. An der Risiera di San Sabba bremste sie, als sie das Schild »Monumento Nazionale« sah. Sie hatte einmal gesprächsweise von diesem Gebäude gehört. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie hineingehen sollte, doch dann verschob sie diesen Gedanken auf später. Sie wollte unbedingt vor Calisto, dem sonnengebräunten Angestellten der Notarin, an der Lagerhalle sein. Schließlich war das ihr Eigentum und sie wollte ihre Aufregung, das lange verlassene Gebäude zu entdecken, mit niemand teilen. Dreimal fuhr sie auf den Monte San Pantaleone hinauf und mußte wegen der Einbahnstraßen, die an den tristen Reihenhäusern vorbeiführten, eine große Schlaufe zurückfahren. Sie sah auf das Stahlwerk hinüber und auf den Kohlehafen davor, die Müllverbrennungsanlage der ACEGAS auf der anderen Seite. Einmal stand sie vor der geschlossenen Schranke des Zolls mit dem Schild »Dogana Sezione S. Sabba«, wenig später vor einem kleinen einsamen Hafen mit höchstens zwanzig Booten der »Gruppa Pesca Sportiva S. Sabba«. An einer Mauer davor lehnte ein ausgeschlachteter Motorroller ohne Nummernschild. Auf einem Gelände nebenan standen unzählige leere LKWs, und von einem Förderturm im Kohlehafen platzte der Rost und rieselte auf die mächtigen Planierraupen darunter. Kein Mensch war zu sehen. Vermutlich war es allen zu heiß.
Mia beschloß, sich an die großen Verkehrsachsen zu halten. Irgendwann fand sie die Straße, die am Canale Navigabile entlangführte, und wunderte sich über den intensiven Geruch von Kaffee, den der Wind von den Röstereien herübertrug, die über die Hälfte des italienischen Kaffeeimports verarbeiteten. Riesige Ladekräne standen auf einem Gelände neben einem Bootsanleger. Sie sah drei Handwerker an einer elektrischen Schaltanlage am Fuße eines der Stahlmonster arbeiten und wollte nach dem Weg fragen, doch keiner der Männer konnte antworten. Sie verstanden weder Italienisch noch Englisch. Mia fuhr langsam weiter. Überall Graffiti, über manche mußte sie lachen. »Laura sei la primavera«, oder: »Luca = Puffo di merda«. Ein paar Meter weiter stand »Nevrastenia for ever« neben der Hausnummer, nach der Mia so lange gesucht hatte. Ein
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