Der Tod wirft lange Schatten
im Gepäckfach des Motorrollers. Man muß stets für einen Sprung ins Meer gerüstet sein.«
Er hatte recht gehabt. Über ihnen ragten die hellgrauen Felsen der Steilküste auf und vor ihnen lag das Meer. Zweimal waren sie bereits im Wasser gewesen und bis hinter die Muschelzuchten hinausgeschwommen. Der Strand war weitläufig und die Menschen verteilten sich.
»Weißt du, wer das ist?« fragte Mia. Sie deutete auf eine der nackten, tiefgebräunten Gestalten ein paar Meter weiter, die sich an den dicken behaarten Bauch eines bärtigen Mannes schmiegte, der ein Gesicht wie eine Bulldogge hatte. Die beiden gehörten zu einer Gruppe von sieben Personen, die es sich, mit Kühltaschen und Grill ausgerüstet, zwischen den Steinblöcken am Ufer bequem gemacht hatte. Kein Zweifel, daß es sich um eine Gruppe fanatischer Sonnenanbeter mit Doppelleben im Büro und am Strand handelte, die die nächsten Monate ihrer Freizeit ausschließlich hier verbrachte.
Calisto hielt die Hand über die Augen, um sich vor den Strahlen der Abendsonne zu schützen. »Wen meinst du?«
»Die Frau links.«
»Keine Ahnung«, log Calisto. Er hatte sie gleich erkannt, aber es gab keinen Grund, Mia wissen zu lassen, daß er der Dame während der letzten Jahre mehr als einmal begegnet war. In der Questura.
»Das ist die Assistentin von dem netten Polizisten, mit dem ich wegen des Lagers zu tun habe. Nackt sieht sie ganz anders aus.«
»Es gibt keine netten Polizisten«, sagte Calisto.
»Nackt sehen die Menschen immer anders aus. Findest du nicht? Manchmal erkennt man sie nicht einmal, wenn man direkt vor ihnen steht.«
»Dich erkenne ich auf fünfhundert Meter Entfernung.« Calisto legte ihr einen heißen Kieselstein auf den Bauch. »Eine nackte Polizistin aber sehe ich heute zum ersten Mal.«
»Woher willst du das wissen? Nackte tragen keine Uniform, keine Rangabzeichen und keinen Revolver.«
»Das seh ich anders.«
»Schwein.«
»Und ich muß leider hinzufügen, daß es nicht besonders anregend ist.«
»Das stimmt nicht. Sie hat sich verdammt gut gehalten«, sagte Mia. »Sie ist um die Fünfzig. Schau, der Busen ist echt. Kein Silikon. Da könnten manche drauf neidisch sein, die zwanzig Jahre jünger sind.«
»Deiner ist besser.«
»Und kein Bauch! Sie hat eine ganz glatte Haut, schau nur.«
»Sie ist sicher zehn Jahre jünger, als du denkst. Und Geschmack hat sie nicht im mindesten. Schau dir das Walroß an, mit dem sie turtelt. Ein Fettwanst mit Fell. Sie enthaart sich komplett, doch der Kerl sieht sogar nackt aus, als trüge er einen Winterpullover aus der Altkleidersammlung der Caritas. Widerlich. Es wird Zeit, sich einen anderen Platz zu suchen. Du glaubst es nicht, aber ich kenne ihn. Ein Gebrauchtwagenverkäufer, der nebenbei mit Kokain dealt. Ein starkes Stück, daß er sich eine Polizistin geangelt hat. Lange sind die noch nicht zusammen.«
»Das sieht man. So wild wie sie turteln. Liebe ist bisweilen sehr komisch.« Mia lachte leise, schob sich halb auf Calisto und küßte ihn wild ins Ohr.
»Bist du wahnsinnig«, sagte er. »Wir sind nicht alleine.«
Daß der Dicke zusammen mit Laurentis Assistentin ebenfalls hier war, behagte ihm gar nicht. Calisto schlug vor, gleich zum Abendessen in die »Bellariva« zu gehen, wo sie vor dem Bad einen Tisch nahe am Wasser reserviert hatten.
»Die Notarin hat mich beauftragt, die Unterlagen zu deinem Grundstück aus dem Grundbuch herauszusuchen. Sie will wissen, wann und von wem deine Verwandten die Lagerhalle gekauft haben. Komisch, daß deine Familie das nicht weiß.«
»Ich bin dabei, die Unterlagen von Tante Alda durchzusehen. Ein mühsames Geschäft.« Mia seufzte. »Ich hasse es, in alten Unterlagen zu blättern. Niemand kannte bisher das Lager. Vielleicht hatte der Onkel es einfach vermietet. Auf jeden Fall sind mir erst einmal die Hände gebunden. Aber was soll man schon mit diesem Zeug anfangen? Am besten wäre es, wenn es ein Museum dafür gäbe. Oder kennst du jemand, der alte Panzer und Kanonen kaufen will?«
Calisto schwieg einen Moment. »Das kommt ganz darauf an. Es gibt für alles einen Käufer«, sagte er schließlich.
Als sie sich anzogen, fragte Mia plötzlich: »Was ist eigentlich mit Angelo los? Er ist plötzlich so eigenartig, verschlossen und muffig. Als hätte ich ihn beleidigt.«
»Vielleicht ist er eifersüchtig.« Calisto war es egal, doch Mia nahm sich vor, in den nächsten Tagen doch einmal Angelos Einladung anzunehmen und mit ihm auszugehen. Unter
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