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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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er vom Risiera-Prozeß gegen Oberhauser erzählen wollte, der zu jener Zeit in München unbehelligt ein Bierlokal betrieb. Es war im Jahr 1976, und man verhandelte in Abwesenheit gegen den Schlächter. Galvano hatte man als Zeugen gehört. In den Jahren nach dem Krieg, als Triest unter alliierter Verwaltung stand, war es ihm zugefallen, die Gutachten für die Überlebenden des KZs zu verfassen, obwohl er noch über wenig medizinische Erfahrung verfügte.
    Am Canal Grande hatte Irina ihn schließlich eingeholt und schüchtern am Ärmel gezogen. Galvano blieb verblüfft stehen. Er hatte ihr in den letzten Tagen ungewöhnlich viel Geld gegeben. Was wollte sie jetzt schon wieder? Seine Versuche, mit ihr zu kommunizieren, waren doch ohnehin vergebens. Er verstand die Zeichen nicht. Die junge Frau machte einen geradezu panischen Eindruck. Hastig zog sie eine Mappe aus ihrem Rucksack und deutete darauf, gab sie allerdings nicht aus der Hand. Hatte er richtig verstanden, daß sie Geld wollte? Schon wieder? Wollte sie die Mappe verkaufen? Galvano zuckte die Achseln und versuchte, einen Blick darauf zu werfen. Endlich gab Irina die Papiere frei, und Galvano blätterte aufmerksam die Seiten durch. Irgendwann stieß er einen Pfiff zwischen den Zähnen hervor. Sein Hund schaute zu ihm auf und stupste ihn mit der Nase.
    »Wo hast du das gefunden?« fragte Galvano, doch Irina schüttelte nur den Kopf. Galvano versuchte sich mit Zeichen verständlich zu machen, deutete auf das Dokument und dann in die Ferne und dann auf sie. Dann zeigte auch Irina in die Ferne und fügte so viele andere Zeichen an, denen Galvano nicht folgen konnte. Er mußte einen anderen Weg finden, sie zu befragen. Vielleicht konnte eine Dolmetscherin helfen. Nach allem, was er in der Kürze erkennen konnte, mußte er unbedingt erfahren, woher die Dokumente kamen. Wieder deutete er auf die Unterlagen und dann auf sich selbst. Irina schüttelte den Kopf und machte endlich ein Zeichen, das er verstand. Ohne zu zögern zog Galvano das Portemonnaie aus der Innentasche seines Jacketts und nahm einen Fünfziger heraus. Irina schaute ihn mit großen Augen an und machte keine Anstalten, den Schein anzunehmen. Galvano zog die Augenbrauen hoch, blätterte die Banknoten durch, legte noch zwanzig Euro drauf und steckte das Portemonnaie wieder ein. Irina nickte, stopfte schnell die Scheine in ihren Rucksack und ging eiligen Schrittes davon. Galvano schaute dem hinkenden Mädchen lange nach, dann bemerkte er, daß seine Hände schwitzten. Er mußte eilig nach Hause und die Unterlagen lesen.
    Alles an einem Tag: Das neue Kapitel seiner Memoiren, die dämliche Frage Laurentis nach dem Tod des schwulen Professors und den Malteserrittern. Und dann diese Papiere. Was gab es doch für Koinzidenzen, dachte Galvano, das war kein Zufall. Laurenti würde er von dieser Sache ganz gewiß nichts erzählen.
    Der Übersetzerin, die er noch am Nachmittag erreichen konnte, hatte er etwas von einer dienstlichen Angelegenheit vorgelogen. Sie war vereidigt und im Gerichtspalast angestellt. Vor vielen Jahren hatte er einmal mit ihr zu tun gehabt, doch die Frau wußte gleich, wer er war, und beglückwünschte Galvano zu seinem letzten Fernsehinterview. Er fragte sie nach ihren Terminen und bat sie, sich bereit zu halten. Er würde die taubstumme junge Frau am nächsten Tag wieder treffen.

Ein Glückstag
    Als hätte er eine neue Gewohnheit aufgenommen, war Proteo Laurenti, dem früh aufzustehen schon immer ein Greuel war, zum dritten Mal hintereinander vor fünf Uhr morgens auf den Beinen. Die Angelegenheit mit dem Schnellboot, das in seiner Nachbarschaft anlandete, ließ ihm trotz Ettore Orlandos Warnung keine Ruhe.
    Er sah die Männer schon von weitem. Heute waren sie früher dran als er. Sie standen auf der Mole und schauten auf das Meer hinaus. Von dem Boot war noch nichts zu sehen. Laurenti schätzte die Entfernung ab. Seine Atemluft würde reichen, um bis zum Wellenbrecher zu kommen, dann könnte er erneut abtauchen. Nach einer Atempause ließ er sich sinken und tauchte so tief am Meeresboden, daß er die Steine und den Schlamm spürte, über die er hinwegglitt. Seine Hand berührte die Mauer der Hafeneinfahrt, dann kamen die Taue der Bojen, an denen die wenigen Boote festgemacht waren. Neben dem Rumpf eines alten Kahns tauchte er auf. Hier war er sicher, obgleich ihn höchstens zehn Meter von den Männern trennten. Laurenti löste die kleine Digitalkamera von seinem linken Oberarm, schaltete

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