Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
später kommt.«
»Wieder ein Ersatz … Wieder. Sobald ich jemanden ins Herz geschlossen habe, ersetzt du ihn durch jemand anderen.«
Mabel hatte die Hand schon auf der Türklinke. Sie drehte sich um und lachte. Sie hatte ein jugendliches, fast kindliches Lachen, wenn sie will, dieses Miststück. Sie hatte es schon damals, als Solange sie in ein Zimmer schob, dachte Ruth. Aber verdammt, jetzt ist sie schon über fünfzig, und ihr Lachen ließ immer noch so manchen Teenager vor Neid erblassen. Doch hinter ihren verheißungsvollen Zähnen war nichts. Ruth wiederholte es für sich: nichts, nichts …
»Es ist besser, wenn du niemanden ins Herz schließt, Ruth, und auch, wenn niemand dich ins Herz schließt.«
»Wieso?«
»Weil du sterben wirst. Es ist besser, es klar und deutlich auszusprechen.«
Ruth erschauderte, und eine der Schweißperlen lief hinunter bis zu ihrem Mund.
Die Hitze in dem geschlossenen Raum war in der Tat unerträglich, die untergehende Sonne fiel direkt in das Zimmer. Aber auf einmal war ihr das egal, ein Zornesstich durchfuhr sie bis in die Magengrube. Sie sagte sich selbst immer wieder, dass sie sterben würde, aber sie ertrug es nicht, wenn andere es laut aussprachen. Es fiel ihr unsäglich schwer, sich wieder zu beruhigen.
»Mabel, Mabel … Lass uns offen reden. Dir kommt es gut zupass, dass ich sterbe. Dann bist du die Last los und kannst in diesem Haus regieren, wie du willst. Ich weiß, dass du mich hasst und dass du mich leiden sehen willst, aber du verlierst dadurch eine Menge Geld. Verhalte dich wie eine praktisch veranlagte Frau, das kannst du doch, wenn du willst, und erzähl mir von diesem Mann, der all das lösen könnte. Wenn der Arzt schon nicht mitspielt, erzähl mir wenigstens von diesem Mann.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe.«
»Aber natürlich erinnerst du dich, Mabel, und du weißt, dass ich ein Recht darauf habe zu sterben. Niemand hat mich um Erlaubnis gefragt, ob ich diese Welt überhaupt betreten will. Und niemand kann mir verbieten, sie zu verlassen.«
Mabel sah sie nicht einmal an. Als wäre die alte Frau nur einer von den vielen Gegenständen, die sich im Raum verlieren. Einen Moment lang hörte man nur das seltsame Geräusch von einer Schweißperle, die beim Aufprall auf dem Boden zerplatzte.
Ruth flüsterte leise:
»Mabel …«
»Was?«
»Jetzt sag nicht, du erinnerst dich nicht. Du hast mir von einem Mann erzählt, der schon einmal getötet hat. Verkauf mich wenigstens nicht für blöd.«
»Dich für blöd verkaufen? Glaubst du das wirklich? Das Gegenteil ist wahr, meine Liebe, das Gegenteil. Du wirst ja wohl nicht bestreiten, dass ich zugestimmt habe, dem Arzt den Vorschlag zu machen, dich mit einer ordentlichen Ration an Beruhigungsmitteln ins Jenseits zu schicken. Aber er wollte nicht. Er ist einer von der alten Schule. Nach dem Motto, Gott hat dir das Leben geschenkt und nur er kann es dir nehmen. Und weil er zur Polizei gegangen ist und dir deine Ration Betäubungsmittel gekürzt hat, hat er eine blütenreine Weste, wenn dir etwas zustößt. Das ist die Wahrheit.«
»Mabel … Du kannst mir helfen. Also hilf mir.«
»Wenn der Arzt gesagt hat, dass Hoffnung besteht, dann besteht noch Hoffnung. Du solltest dich nicht beklagen.«
»Mich nicht beklagen? Kann es denn etwas Schlimmeres geben?«
»Aber sicher, meine Liebe, aber sicher … Neulich hat man mir eine so furchtbare Geschichte erzählt, hätte sie sich nicht tatsächlich zugetragen, ich hätte sie nicht geglaubt. Die Leidensfähigkeit des Menschen ist grenzenlos, und wer gläubig ist, glaubt dann, dass Gott sich ein Sabbatjahr genommen hat. Stell dir ein altes Ehepaar vor, das alleine lebt, das heißt, sie haben niemanden. Sie kann sich nicht bewegen, ihr Mann muss sie sogar füttern, und das tut er sehr liebevoll. Aber eines Tages stirbt der Mann plötzlich. Stell dir das mal vor … Nach einer Woche, in der sie bei vollem Bewusstsein ist, stirbt sie neben der Leiche ihres Mannes, verhungert und verdurstet. Ein großer Film, der im Licht der abstoßenden Wirklichkeit klein wird. Deshalb kommt mir jetzt gerade der Gedanke, wie schrecklich es wäre, wenn mir etwas zustieße … Die Nachtschwester ist neu, sie hat keinen Schlüssel und könnte davon ausgehen, dass wir nicht mehr da sind. Ich gebe zu, ich habe dir von diesem Mann erzählt.«
Mabel kehrte in die Mitte des Raumes zurück, lehnte sich an die Wand und sprach weiter mit dieser dunklen Stimme:
»Dieser Mann könnte
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