Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
mich immer wieder am meisten überrascht, Inspektor, das sind die Chinesen. Es kommen hundert, wie, weiß man nicht, und machen ein Restaurant auf, das immer ›Die große Mauer‹, ›Der gelbe Fluss‹ oder ›Mandarin‹ heißt. Aber für ein chinesisches Restaurant braucht man keine hundert Leute, und so verschwinden die anderen spurlos, sie sterben nicht einmal. Ich denke, die Verwandten behalten die Papiere, während die essbaren Teile des Toten in den diversen ›Mandarins‹ und ›Gelben Flüssen‹ im Land verteilt werden. Oder sie begraben sie im Keller, oder sie packen sie in Maulbeerblätter und geben sie den arglosen Seidenraupen zu essen. Das Viertel ist nicht mehr, was es mal war, Inspektor, das Viertel ist vor die Hunde gegangen. Sagen Sie mir, was ist aus den alten Familien der Nachkriegszeit geworden, die sich ein Leben lang kannten, an den Sonntagen im Sommer auf die Straße hinausgingen und sich alles erzählten. Was der Chef des Ehemannes doch für ein Mistkerl und der Verlobte der Tochter doch für ein Segen war. Und sagen Sie mir, was von den Straßenfestkomitees noch übrig ist, die jeden August eine Feier mit Luftballons, Lichterketten, Limonade, Paso doble und ›Nimm, was du kriegen kannst‹ machten. Und was ist aus den Schatzmeistern geworden, die mit allen Beiträgen vielleicht ein paar Silbermünzen zusammenbekamen, aber manchmal mit der Nachbarstraße zusammenlegten, also eine Art Bankenfusion machten. Und die Leute tanzten und knutschten in den Eingängen und vergaßen dabei den Hunger, und dass sie zu fünft in einem Zimmer schlafen mussten, und dass man den Manolo aus der Färberei ins Gefängnis geworfen hatte, weil er gesagt hatte, Franco sei klein. Indem auch sonntags rangeklotzt wurde, haben wir ein Land nach oben gebracht, in dem es uns allen um dasselbe ging. Und jetzt, das sehen Sie ja, sind wir mit fünfzig überflüssig. Los, geht Karten spielen, Spanien ist reich, es braucht euch nicht, geht nach Hause zu euren Frauen. Stellen wir uns einen jungen Kerl vor, der davon träumt, wie unsereins mit fünfzig in Rente zu gehen. Das ist es, was unser Land braucht, ha, Méndez, so sehr, dass die Multikonzerne in andere Länder abwandern, wo die Leute noch bis siebzig arbeiten wollen. Und die harten Jobs für die Immigranten. Na klar, es gibt hier Minister, die behaupten, die Immigranten würden unser Land retten, aber wenn sie das geschafft haben, dann haben sie ausgedient, und dann wird es hier ordentlich rundgehen.«
Der Wirt schenkte sich ein vorgezogenes Gläschen ein und fuhr fort:
»Ich habe hier im Viertel Leute kennengelernt, die haben alles ertragen, die haben sich um sechs Uhr morgens einen Anislikör hinter die Binde gekippt, und das hielt dann für den ganzen Tag. Und wenn Sie abends, die Eier am Boden, nach Hause kamen, aber immer noch Lust auf eine Nummer hatten, dann haben die Männer ihren Hosenstall aufgemacht und statt der Frau die Schwiegermutter gevögelt. Das war hier ein Dorf, Méndez, nicht die Klientel von jetzt, die um elf Uhr morgens ihren Donut bestellen. Aber ich fürchte, ich langweile Sie, Sie gehören ja zur Anislikörfraktion, da sage ich Ihnen sicher nichts Neues.«
»Ganz im Gegenteil, mein Freund. Es ist alles andere als überflüssig, dass Sie sich erinnern, denn das steht in keinem Geschichtsbuch.«
»Dann sollen Sie noch ein paar Dinge erfahren, Inspektor, während Sie auf ihre Beförderung warten. Dieses Gebiet des Poble Sec, ehemals von den Kanonen des Montjuïc bewacht, ist schon immer ein Ort des Leidens gewesen. Es gab hier Ländereien – natürlich existieren sie nicht mehr, sie wurden längst bebaut –, auf denen die Kohlehändler ihre Fracht abluden, und dann fügten sie der Kohle Wasser hinzu, damit sie mehr wog und sie mehr einnahmen, denn sie verkauften sie kiloweise. Das bedeutete, dass ein armer Mann die ganze nasse Kohle wieder aufschaufeln musste. Also der arme Sohn aus dem Volk verdiente weniger, als man an dem zusätzlichen Gewicht durch das Wasser verdiente, denn sonst wäre das Ganze ja ein Nullsummenspiel, und wer weiß, ob der Kapitalist dann nicht seinen Bankrott erklärt hätte. Jetzt haben die Leute das alles vergessen, so wie das Kind nichts von den Schmerzen der Mutter bei seiner Geburt weiß. Glauben Sie mir, die Viertel verändern sich und begraben ihre Erinnerung. Es gibt nur noch ein paar Alte, die alles mit angesehen haben und sich nichts mehr wünschen, als in ihrer Straße sterben zu dürfen, und ein paar
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