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Der Todesbote

Der Todesbote

Titel: Der Todesbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaques Buval
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in vollem Gange war, forderten sie extremere Maßnahmen und bekamen sie. Eine Einheit der Nationalgarde, voll ausgerüstet mit Raketenwerfern und Panzerfahrzeugen, wurde zum Schutz des Dorfes entsandt, während rund 2.000
    Polizisten die westliche Ukraine auf der Suche nach dem Täter durchkämmten. Es war furchtbar. Noch immer steht das Dorf unter dem Schock der Vergangenheit. Unsere Trauer für die Opfer wird nie enden.«
    Der Mann hat Recht behalten. An jedem Wochenende –
    noch Jahre später – gedenkt die Gemeinde noch immer den Toten dieses grauenvollen Verbrechens. Entsetzen, Trauer und unheimliche Wut haben dieses Dorf vereint. Noch immer steht der Schock den Trauernden ins Gesicht geschrieben. Die verheerende Mordserie hat die Menschen des Ortes zu einer Einheit gegen die Gewalt zusammengeschweißt. Die Lähmung und das Entsetzen schlugen rasch in ein Gefühl der Zusammengehörigkeit um. Sie fordern Vergeltung in all ihrem Leid. Sie sind fassungslos und weinen.
    »Diese Taten, die in unserem Ort begangen wurden, haben unser Leben verändert! Ich bin wie gelähmt«, berichtet ein anderer Mann, der nicht verstehen kann, was diesem Dorfe widerfahren ist.
    »Immer wieder beteten wir: Großer Gott steh uns bei! Wir alle hatten unsägliche Angst. Unzählige unschuldige Menschen wurden getötet und wir fragten uns, wann wir an der Reihe wären«, kann sich eine junge Frau an die grauenhafte Zeit in ihrem Dorf zurückerinnern.
    Über den Mörder der vielen wehrlosen Opfer hat man schon lange ein Urteil gefällt. Eine Gruppe aufgeregter Gemeindemitglieder wollen nach dem Kirchgang ihre Meinung kundtun.
    Ein Mann Mitte fünfzig meint wutentbrannt: »Er attackierte unschuldige und wehrlose Menschen. Väter, Mütter und selbst Kinder. Nur die Todesstrafe hat er verdient. Ich bin viel zu aufgeregt, um zu erklären, warum es dieses Schwein verdient hat.«
    Ein anderer hält diese Strafe für zu gering: »Eine Kugel reicht für diese Bestie nicht aus. Man muss ihn totprügeln. Ihn nur zu erschießen reicht nicht.«
    Da mischt sich eine ältere Frau sehr emotional in das Gespräch ein: »Ich möchte ihn am liebsten eigenhändig zerstückeln.« Dabei zeigt sie aufgeregt mit den Händen, wie sie sich das vorstellen würde. Eine daneben stehende Frau fällt ihr ins Wort: »Man sollte ihn an einem Baum fesseln, und jeder von unserem Dorf käme vorbei und würde ihm ein Stück von seinem Körper abreißen …«
    Wer kann es diesen Menschen verdenken, dass sie sich in ihrer Fantasie an Grausamkeit überbieten bei einem Menschen, der ihnen dies alles angetan hat?
    Die Rufe nach Lynchjustiz hallen bis ins 1.000 Kilometer entfernte Kiew. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft, die seit 1989 am Fall Onoprienko arbeitet, reagiert sofort darauf. Seit Wochen verlangt man vom Täter, dass er die einzelnen Taten rekonstruiert, die die Beamten dann auf Video aufzeichnen.
    Die Rekonstruktionen des mörderischen Treibens finden nur noch unter massivem Polizeischutz statt, wenn überhaupt.
    »In erster Linie haben wir Angst um unsere Mitarbeiter gehabt«, erklärt der ermittelnde Staatsanwalt Iwan Dobyschuck. »Wenn die Menschen dem Täter etwas antun wollten, würden sie auf die unschuldigen Polizisten und meine Kollegen nicht achten. Es würde zusätzliche Opfer geben. Und es gab in der Ukraine schon genug davon. Ich habe deshalb dem Oberstaatsanwalt mitgeteilt, dass wir mit dem Täter nicht nach Bratkovich fahren. Wir hatten ohnehin schon genug Beweise gehabt.«
    Zum Beweis zeigt er ein Polizeivideo vom 13.09.1996, das morgens um 8.42 Uhr in diesem Ort aufgenommen wurde.
    Wieder einmal sollte Onoprienko zu einem Tatort geführt werden. Ein riesiges Polizeiaufgebot begleitet ihn. Onoprienko trägt Handfesseln. Er ist umgeben von Staatsanwälten und Sicherheitskräften. Er ist fast kahlgeschoren und trägt einen Jeansanzug. Mit den Beamten geht er auf den Tatort zu.
    Niemand achtet auf den Mann mit der blauen Plastikmütze, wie sie auf Intensivstationen in Krankenhäusern getragen werden.
    Der kräftige Mann von über fünfzig Jahren steht am Weg in einer Gruppe anderer Männer und wartet offensichtlich nur darauf, bis Onoprienko direkt auf ihn zukommt. Plötzlich holt er aus und versetzt Onoprienko einen Kinnhaken. Doch er hat ihn offensichtlich nicht richtig getroffen. Onoprienko schüttelt sich und geht an dem Mann vorbei, ohne ihn zu beachten. Die begleitenden Beamten lachen heimlich und müssen ihre Gefühle unterdrücken, denn die

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