Der Todesbote
den kleinen Sitzungssaal im Gerichtsgebäude der Stadt. Man will versuchen, den geladenen ermittelnden Beamten und den Herren der Justiz Leben und Taten des Mörders aus entwicklungspsychologischer Sicht zu erklären.
Die bisherigen Tätertypologien, seine Motivation und seinen Antrieb zum Töten versucht man zu analysieren.
Die Reihen der Zuhörerbänke sind voll besetzt, als man Anatolij Onoprienko vorführt. Gefesselt an Händen und Füßen und bewacht von vier Beamten des Sicherheitsdienstes, betritt er den Raum. Das Interesse an diesem Täter ist groß. Jeder will ihn sehen, den Schlächter der Nation und aus seinem Munde erfahren, wie er über seine Taten und seine Opfer denkt.
Onoprienko wirkt krank, er hat mehrere Kilo an Gewicht verloren seit seiner Inhaftierung. Es scheint ihm nicht gut zu gehen. Blass wirkt er in seinem braunen Pullover und seinem blaukarierten Hemd, das er seit seiner Verhaftung trägt. Sein rotblonder Stoppelbart lässt ihn ungepflegt aussehen.
Wer von den Anwesenden geglaubt hatte, ein reuiger Täter würde nun präsentiert, sollte sich mächtig täuschen. Die zunächst fast demütige Haltung Onoprienkos bei seiner Vorstellung zur Person wechselt abrupt ins Gegenteil, als man ihn über seine Taten befragt. Absolute Ruhe beherrscht den Raum, als der Psychiater mit dem Frage-Antwort-Spiel beginnt.
»Was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie Ihre Opfer grauenhaft töteten?«
»Gar nichts«, antwortet er trotzig. »Jeder Fall war anders.
Alles, was ich vollbringen musste, lief auf einer anderen Ebene ab. Sie müssen Ihre Fragen schon sehr viel spezifischer stellen, damit ich darauf antworten kann«, rügt er den Psychiater. »Ich bin nicht der dumme Mensch, den Sie hier vorführen wollen.
Ich bin ein Wissenschaftler und Arzt und möchte auch so behandelt werden.«
Ein Raunen geht durch den Saal. Die Selbstsicherheit Onoprienkos schockt die Zuhörer förmlich. Onoprienko schließt in einer unvorstellbar arroganten Art die Augen und lässt keine Möglichkeit offen, zu zeigen, dass er hier nicht der Befragte sein will, sondern der Aufklärer.
»Also gut«, nimmt der Psychiater erneut einen Anlauf.
»Beschreiben Sie uns bitte …«
Onoprienko unterbricht den Psychiater erneut und lächelt ihn dabei hämisch an: »Das gefällt mir schon viel besser.«
»Also Herr Angeklagter, bitte schildern Sie uns doch den Tathergang in Malinsk. An diesem Ort haben Sie neun Menschen getötet, darunter auch ein Kind. Was haben Sie dabei gefühlt und innerlich erlebt, als Sie die Menschen töteten?«
»Gefühle hatte ich dabei nicht zu haben. Ich hatte einen Auftrag auszuführen und das habe ich versucht, gewissenhaft zu tun.« Der Klang seiner Stimme lässt die Zuhörer zusammen schrecken.
»Wer hat Ihnen diesen Auftrag gegeben?«, will man von ihm wissen.
Da wird der launige Finsterling ungehalten und raunzt den Psychiater an: »Das habe ich in all den unzähligen Sitzungen bei Ihnen doch schon hundert Mal versucht zu erklären.«
»Sicher, aber die anwesenden Damen und Herren wollen auch darüber informiert werden, deshalb meine Frage«, erklärt der Psychiater fast entschuldigend.
»Adolf Hitler«, kommt es wie aus der Pistole geschossen.
»Wer?«
»Ich sagte Adolf Hitler«, antwortet er bestimmt. Onoprienko hebt den Finger in die Höhe und will damit demonstrieren, wie bedeutungsvoll dieser Name für ihn ist.
»Der ist doch schon lange tot. Als er in Deutschland die Macht besaß, waren Sie doch noch nicht einmal auf der Welt.
Wie soll er Sie dann mit dem Töten unschuldiger Menschen beauftragt haben?«
»Oder war es nicht auf dieser Welt?«, fragt der Psychiater spöttisch nach.
»Es war im Universum, als ich Adolf Hitler traf«, stellt Onoprienko klar.
»So so, im Universum haben Sie also Adolf Hitler getroffen?
Und welchen Auftrag gab er Ihnen da?«, fragt der Psychiater, und Ironie liegt in seiner Stimme.
»Ich sollte den Dritten Weltkrieg beginnen. Leider konnte ich seinen Auftrag nicht erfüllen. Denn er verlangte von mir, an jedem Tag einen Menschen zu töten. 365 Tote im Jahr. Das habe ich leider nicht geschafft. Das muss ich leider zu meinem Bedauern zugeben.«
»Diesen Befehl haben Sie also von Adolf Hitler selbst bekommen?« Diese Frage stellt der Psychiater mit einem erneut ironischen Unterton, der Onoprienko gar nicht behagt.
Seine Antwort kommt prompt: »Ja, von Adolf Hitler!
Aber ich möchte jetzt nicht mehr über dieses Thema sprechen. Sie können das wohl sowieso
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