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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schwarzen Roben es nicht ebenfalls
angezündet hatten.
Andrejs Hand schloss sich fester um das Schwert, während er
die beiden Soldaten beobachtete, die nebeneinander und ohne
sichtbare Eile auf das Haus zu gingen. Sie unterhielten sich,
aber Andrej sah nur die Gesten, mit denen sie ihre Worte
begleiteten. Obwohl in seiner unmittelbaren Nähe kein Haus
brannte, war das Tosen der Flammen selbst hier noch deutlich
genug zu hören. Es übertönte nahezu jedes andere Geräusch.
Für Andrej wäre es ein Leichtes gewesen, den beiden Männern
zu folgen und sie zu töten, ohne dass ihre Kameraden es auch
nur bemerkt hätten.
Seine Hand zuckte so erschrocken vom Schwertgriff weg, als
hätte er glühendes Metall berührt. War das wirklich er, der
diesen Gedanken gehegt hatte? Wie viel von ihm war noch er
selbst?
Er schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich
stattdessen auf die Kirche. Das zweigeteilte Portal stand offen,
aber dahinter waren nur flackerndes Licht und unruhige
Bewegung zu erkennen. Für einen kurzen Moment blitzte ein
Lichtstrahl auf, als jemand - wohl ein Soldat - an der Tür
vorbeiging, aber Andrej konnte keine Einzelheiten erkennen, so
sehr er seine Augen auch anstrengte.
Ihm war klar, dass sich die meisten Soldaten im Inneren der
Kirche aufhalten mussten. Er konnte nicht einfach zur Tür
hineingehen, sondern musste einen unauffälligeren Weg
wählen. Die einzige Möglichkeit bestand darin, die Kirche und
damit den gesamten Platz in weitem Bogen zu umgehen und
sich dem Gebäude von der Rückseite her zu nähern.
Andrej warf einen letzten, prüfenden Blick in den Himmel
hinauf, bevor er losging. Bis Sonnenaufgang waren es noch
gute zwei Stunden; sicherlich eineinhalb, ehe es auch nur zu
dämmern begann. Dennoch war der Mond bereits
untergegangen, der Himmel war leer bis auf das glitzernde
Band aus Sternen; Diamantsplitter, die ein nachlässiger Gott auf
seinem Weg über das Firmament verloren hatte. Konnte das der
Grund sein, aus dem die grausame Gier in ihm nicht mehr ganz
so quälend war wie bisher? Sein Blutdurst war noch lange nicht
gestillt, aber noch vor einer halben Stunde wäre es ihm nicht
möglich gewesen, die Mordlust zu zügeln, die ihn beim Anblick
der beiden Soldaten überfallen hatte. Vielleicht, überlegte er,
wäre es klüger, bis zum Sonnenaufgang abzuwarten. Aber wie
viele Leben würden diese zwei Stunden kosten?
Er entschied sich gegen das Warten, und sei es nur, weil diese
Wartezeit bewiesen hätte, dass er endgültig begonnen hatte, die
Nacht zu fürchten.
Um den Dorfplatz und die Kirche in sicherem Abstand zu
umgehen, legte er weitere zwei oder drei Dutzend Schritte des
Weges zurück, den er gekommen war, und schlug dann einen
großen Bogen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er auf die
Rückseite des Gotteshauses gelangte, denn er bewegte sich sehr
vorsichtig und hielt immer wieder an, um zu lauschen oder sich
aufmerksam umzusehen.
Einige Male unterbrach er seinen Weg, um eines der
leerstehenden Gebäude zu durchsuchen. In keinem der Häuser
fand er ein lebendes Wesen, aber er konnte die Gewalt und den
Tod, die hier getobt hatten, riechen.
Als er endlich die Rückseite der Kirche erreichte, musste er
feststellen, dass seine Mühe vollkommen umsonst gewesen war.
Das Gotteshaus war zwar erstaunlich groß für einen Ort wie
Trentklamm, und so wuchtig und wehrhaft erbaut, dass es schon
fast einer Festung glich, aber es besaß keinen zweiten Eingang.
Die Fenster der Kirche waren schmal und zusätzlich vergittert,
sodass es vollkommen unmöglich war, auf dieser Seite
hineinzugelangen. Die Ähnlichkeit mit einer Festung war
beabsichtigt: Wie in vielen Orten dieser Größe diente die aus
massivem Stein erbaute Kirche den Dorfbewohnern nicht nur
als Versammlungsort und Gebetshaus, sondern auch als
Zuflucht bei einem Unwetter oder einem Angriff.
Im Augenblick hatte sie allerdings die Funktion eines
Gefängnisses übernommen.
Andrej schlich geduckt an das Gebäude heran, presste sich
mit klopfendem Herzen und angehaltenem Atem unter einem
der schmalen Fenster gegen die Wand und lauschte. Die
Geräusche, die durch das Fenster zu ihm drangen, ergaben in
ihrer Gesamtheit ein Bild, so klar, als könnte er es sehen: Dort
drin waren Menschen, viele Menschen. Niemand schien zu
beten, aber er hörte ein dumpfes, an- und abschwellendes
Raunen und Murmeln, dessen Tenor eher von Leid und Angst
als von der geflüsterten Zwiesprache mit Gott kündete. Ein
Kind

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