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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bleib liegen!, dachte Andrej fast verzweifelt. Bleib in
Gottes Namen liegen!
Sein Gebet wurde nicht erhört. Der Soldat stemmte sich
wimmernd in die Höhe, spuckte Blut und Zähne und versuchte
sich zu ihm herumzudrehen.
Andrej hämmerte ihm die Faust gegen die Schläfe, war mit
einem Satz hinter ihm und schlang dem Mann den Arm um den
Hals, bis dieser in seinem Griff zusammensackte. Eine schnelle
Drehung, ein Ruck, und es wäre vorbei gewesen. Zweifellos
hatte der Mann den Tod verdient. Aber er wollte ihn nicht töten;
noch immer nicht. Er durfte es nicht. Wenn er jetzt Blut
vergoss, dann hatte der Wolf in ihm gewonnen.
Der Mann regte sich nur noch schwach, aber er bewegte sich,
und das Schicksal war grausam genug, ihn nicht das
Bewusstsein verlieren zu lassen, was ihm möglicherweise das
Leben gerettet hätte. Seine Sinne klärten sich rasch. Er bäumte
sich in Andrejs Griff auf und schlug ziellos nach hinten.
Andrejs Fingernägel schrammten über die Wange des Soldaten
und hinterließen vier brennende Spuren aus blutigem Schmerz,
und etwas in Andrej … zerbrach.
Blut. Er roch das Blut des Mannes und spürte seinen
Schmerz, und der Wolf in ihm stürzte sich mit einem gierigen
Heulen auf die hilflose Beute, fegte den jämmerlichen Rest von
Andrejs freiem Willen davon und übernahm endgültig die
Kontrolle.
Es war wie in jener Nacht vor dem Kloster, nur hundertmal
schlimmer. Er wusste nicht, was er tat und wie lange es dauerte,
aber die Schreie des Soldaten hallten lange, endlos lange und
unmenschlich schrill über die Straße, und als es vorbei war,
lebte der Mann immer noch, aber er konnte nicht mehr schreien.
Alles, was er hervorbrachte, war ein gurgelndes Röcheln.
Entsetzt von seinem eigenen Tun sprang Andrej hoch und
prallte zwei taumelnde Schritte zurück. Seine Hände waren
voller Blut. Sein Mund war voller Blut, aber die Gier in ihm
war noch immer nicht gestillt, sondern schien mit jedem
Herzschlag schlimmer zu werden. Der grausige Trank hatte
seinen Durst nicht gestillt, sondern ihn noch geschürt. Was hatte
er getan? Gott im Himmel, was war aus ihm geworden?
»Töte … mich«, stöhnte der Soldat. »Ich flehe dich … an. Hab
Er …
barmen! Töte … mich.«
Andrej starrte ihn an. Der winzige, menschlich gebliebene
Teil in ihm krümmte sich vor Entsetzen, als er sah, was er dem
Mann angetan hatte, aber der Wolf triumphierte. Er trank den
Schmerz des Mannes, labte sich an seinem Leid und seinem
Sterben, und er hinderte Andrej daran, seine Fassungslosigkeit
abzuschütteln und dem Sterbenden die letzte Gnade zu erweisen
und ihn von seiner Pein zu erlösen.
»Töte … mich«, gurgelte der Sterbende. »Hab … Erbarmen.«
»Das werde ich nicht tun«, antwortete Andrej kalt. »Aber ich
lasse dir deine Seele, wenn du mir sagst, wie viele ihr seid und
wo ich die anderen finde.«
»Zwan … zig«, stöhnte der Soldat. »Wir sind … zwanzig.
Dazu der … der Inquisitor und Vater Benedikt.«
»Der Inquisitor?« Andrej trat wieder auf den Soldaten zu und
streckte die Hände aus. »Wer ist er? Wo finde ich ihn? Sprich,
oder ich fresse deine Seele!«
Das konnte er nicht. Andrej, der Vampyr, hätte es vielleicht
gekonnt, aber das … Ding, in das er sich verwandelt hatte, hatte
keine Verwendung für eine Seele. Es wollte Blut, das war sein
Lebenselixier. Der Sterbende bäumte sich auf und versuchte vor
ihm davonzukriechen, aber sein zerschundener Körper hatte
nicht mehr die Kraft dazu.
»In der Kirche!«, keuchte er. »Sie … sie sind in der Kirche.«
»Und die anderen?« Andrej machte eine drohende Bewegung.
»Die Leute aus dem Dorf? Wo sind sie? Habt ihr sie alle
umgebracht?«
»Sie … sie haben viele … verbrannt«, gurgelte der Soldat.
»Aber nicht alle.
Noch nicht. Sie … sie machen ihnen den Prozess. Jedem …«
»Aber das Urteil steht schon fest, nicht wahr?« Andrej verzog
die Lippen zu einem kalten Grinsen. »A1les muss eine Ordnung
haben. Schließlich bekommt jeder seinen gerechten Prozess.«
»Sie … sie sind mit dem Teufel im Bunde«, stöhnte der Mann.
»Jeder weiß das.
Alle hier sind … sind Teufelsjünger.«
Andrej wollte widersprechen, aber in diesem Moment fiel
sein Blick auf seine eigenen, zu Klauen gekrümmten Hände. Sie
hatten sich nicht wirklich in Klauen verwandelt, wie die
Gliedmaßen der bedauernswerten Kreaturen, die Abu Dun und
er in der Höhle gefunden hatten, aber der Anblick war fast
schlimmer. Sie waren so rot vom Blut des Soldaten, dass

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