Der Todesstoss
sein.«
»Gut«, sagte der Inquisitor. »Dann werden wir jetzt vielleicht
endlich erfahren, was hier wirklich vorgeht.«
Er stürmte so schnell aus dem Raum, dass er den völlig
eingeschüchterten Soldaten um ein Haar von den Knien
gerissen hätte, und war verschwunden. Der Soldat rappelte sich
mühsam auf und folgte ihm, und auch Vater Benedikt wollte
sich ihm anschließen, aber Thobias hielt ihn mit einer
Handbewegung und einem angedeuteten Kopfschütteln zurück.
Er wartete einige Momente ab, dann ging er zur Tür, warf einen
Blick nach draußen und schloss sie schließlich wieder.
»Das hätte nicht passieren dürfen«, zischte Vater Benedikt
aufgebracht.
»Wieso lebt er noch? Du hast mir gesagt, er und dieser Andrej
wären tot!«
»Ich war sicher«, sagte Thobias. Er hob die Schultern.
»Anscheinend habe ich meine Brüder und Schwestern
überschätzt.«
»Oder diesen Andrej unterschätzt«, fügte Vater Benedikt
düster hinzu. »Was, wenn er auch noch am Leben ist? Wenn er
gar zurückkommt?«
»Was sollte er schon ausrichten können?«, fragte Thobias. Er
fand seine Beherrschung rasch wieder, und als er weitersprach,
lächelte er sogar. »Und wer würde ihm glauben? Mach dir keine
Sorgen. Morgen Nacht, wenn der Mond aufgeht, wird jeder
begreifen, dass der Teufel in Trentklamm stärker ist denn je.«
Er seufzte, drehte sich halb herum und sah für einen Moment
so genau in Andrejs Richtung, dass dieser davon überzeugt war,
dass er seine Anwesenheit entdeckt hatte. Aber dann irrte sein
Blick weiter und blieb schließlich auf Benedikts Gesicht
hängen. »Bis dahin haben wir noch viel zu tun. Und nur noch
sehr wenig Zeit.«
Nichts von alledem, was Andrej gehört hatte, schien
irgendeinen Sinn zu ergeben. Er war noch immer bestürzt über
die Erkenntnis, dass Thobias ganz offensichtlich vorhatte, Abu
Dun und ihn für die un-heimlichen Vorfälle der letzten Tage
verantwortlich zu machen - aber er konnte ihn sogar verstehen.
Abu Dun und er waren Fremde für ihn, und wenn er die Wahl
hatte, sie zu opfern, um das Leben der Menschen hier zu retten,
dann konnte er gar nicht anders entscheiden.
Andrej wartete, bis Thobias und Vater Benedikt den Raum
verlassen hatten, dann versuchte er, die Tür zu öffnen.
Es ging nicht.
Die Tür war verschlossen. Andrej zwängte die Finger in den
schmalen Spalt zwischen den Brettern und zog mit aller Kraft.
Das Holz knirschte, hielt dem Druck aber Stand, und als er sich
in die Hocke sinken ließ und die Tür genauer untersuchte, sah er
den Schatten eines wuchtigen Riegels, der von der anderen
Seite vorgelegt war. Es gab keine Hoffnung, sie gewaltsam
aufzubrechen - jedenfalls nicht, ohne dass der Lärm jeden
alarmiert hätte, der draußen in der Kirche war.
Andrej richtete sich auf, trat einen Schritt zurück und zwang
sich, seine Möglichkeiten in aller Ruhe abzuwägen. Es waren
nicht besonders viele.
Er verstand noch nicht das ganze Ausmaß dessen, was er
gerade gehört hatte, doch ihm wurde klar, dass nichts so war,
wie er bisher geglaubt hatte.
Thobias hatte ihn anscheinend von Anfang an belogen - aber
warum?
Hätte Andrej es nicht besser gewusst, dann wäre er
spätestens, nachdem er das Gespräch von Thobias und Benedikt
gehört hatte, überzeugt gewesen, dass dieser alles in seiner
Macht Stehende tat, damit der Inquisitor Trentklamm
auslöschte.
Er verscheuchte den Gedanken. Vielleicht hatte Abu Dun von
Anfang an Recht gehabt, und das alles hier ging sie nichts an.
Aber dazu war es jetzt zu spät.
Es überraschte ihn nicht, dass Abu Dun erneut in
Gefangenschaft geraten war. Er hatte nicht damit gerechnet,
dass der Nubier sein Wort halten und oben am Kloster auf ihn
warten würde. Vermutlich hatte er einfach abgewartet und war
dann umgekehrt, um ihm zu folgen. Wenn Andrej überrascht
war, dann darüber, dass die Soldaten nur zwei Männer bei dem
Versuch, Abu Dun zu überwältigen, verloren hatten.
Offensichtlich war der Nubier noch lange nicht wieder im
Vollbesitz seiner Kräfte.
Abu Dun würde in einer halben Stunde hier sein, und Thobias
schien daran interessiert zu sein, den Inquisitor in Trentklamm
ein Blutbad anrichten zu lassen. Und er war in diesem
Glockenturm gefangen, so zuverlässig und sicher, wie es Abu
Dun in Thobias’ Kerker gewesen war. Andrej sah nach oben,
musterte die glatt verputzen Wände des Glockenturmes mit
wachsender Ungeduld und griff schließlich nach dem
Glockenseil. Ein kurzer Zug reichte, um den Klöppel in
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