Der Todesstoss
wandte sich um. »Gibt
es Raubtiere hier in den Bergen, Birger?«
»Wölfe«, antwortete Birger, aber Andrej schüttelte sofort den
Kopf.
»Kein Wolf könnte so etwas tun. Seht Ihr seinen Kopf ? Der
Schädelknochen eines Menschen ist härter als Eisen.«
»Vielleicht … vielleicht ein Bär«, überlegte Birger. »Es ist
lange her, dass Bären hier gesehen wurden, aber es könnte
sein.«
»Was immer es war, es war ziemlich groß«, stellte Abu Dun
fest. »Und du hast Recht, Andrej - es war kein Mensch.«
Andrej blickte in die Richtung, in die Abu Dun mit dem
ausgestreckten Säbel wies, und stand auf. In dem blutigen
Schnee war ein einzelner Fußabdruck zu erkennen. Es war nicht
der Fußabdruck eines Menschen, aber auch nicht der eines
Wolfes oder Bären oder irgendeines anderen Tieres, das Andrej
jemals gesehen hatte. Er war nicht einmal besonders groß, aber
auf unheimliche Weise verzerrt und missgestaltet. Tiefe
Eindrücke im Schnee zeugten von schrecklichen Krallen.
»Allah!«, entfuhr es Abu Dun. »Welche Kreatur hinterlässt
solche Spuren?« Er keuchte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Andrej wahrheitsgemäß.
»Aber was immer es ist, es ist verletzt.« Er deutete auf die
frischen Blutspuren neben dem Fußabdruck. »Und es ist noch
nicht sehr weit weg.«
Birger japste, als Andrej aufstand und ebenfalls seine Waffe
zog. »Was habt Ihr vor? Ihr … Ihr wollt dem Ungeheuer doch
nicht etwa folgen?«
»Ich werde gewiss nicht weitergehen, wenn ich etwas hinter
mir weiß, das zu so etwas fähig ist«, sagte Andrej entschlossen.
»Aber …«
»Du kannst ruhig hier bleiben und auf uns warten«, sagte Abu
Dun grinsend.
»Wir sind bestimmt bald zurück. Und wenn nicht wir, dann
etwas anderes.«
Birger wurde noch bleicher, aber er verschwendete keinen
weiteren Atem auf den Versuch, sie von ihrem Entschluss
abzubringen, sondern hatte es im Gegenteil plötzlich sehr eilig,
zu ihnen aufzuschließen.
Nach einer Weile fanden sie einen weiteren Fußabdruck, dann
noch einen, bevor die Spur abbrach, weil der Boden felsiger und
die Schneedecke darauf dünner wurde. Dennoch fiel es Andrej
nicht schwer, der Spur weiter zu folgen.
Der Blutgeruch wies ihm den Weg.
Sie bewegten sich sehr vorsichtig. Alle ihre Sinne waren bis
zum Zerreißen angespannt, und Andrej lauschte mit seinen
schärferen Vampyr-Sinnen in die Nacht hinein.
Dennoch sah er das Ungeheuer beinahe zu spät.
Es erschien plötzlich von einem Moment auf den anderen aus
dem Nichts, als hätte sich die Dunkelheit vor ihnen
zusammengeballt, um schreckliche Gestalt anzunehmen. Andrej
fand gerade noch Zeit, einen warnenden Schrei auszustoßen,
aber Abu Dun fand nicht mehr genügend Zeit, um darauf zu
reagieren. Das … Ding hieb mit einer schrecklichen, Krallen
bewehrten Hand nach ihm. Abu Dun duckte sich und rettete
sich damit das Leben, denn der Hieb streifte ihn nur, statt ihm
den Kopf von den Schultern zu trennen, aber die Wucht des
Schlages reichte immer noch aus, den Nubier von den Füßen zu
reißen und hilflos davon rollen zu lassen.
Andrej erstarrte vor Entsetzen. Niemals zuvor hatte er etwas
Schrecklicheres gesehen.
Das Geschöpf war weder ein Mensch noch ein Tier, sondern
eine abscheuliche Mischung aus beidem. Es war nicht einmal
besonders groß, und es wirkte eher schmächtig, aber ganz und
gar nicht zerbrechlich, sondern auf jene Abscheu erregende
Weise dünn, wie sie besonders abstoßenden Insekten zu Eigen
ist. Seine Haut glänzte nass wie rohes Fleisch, und auf dem
entsetzlich missgestalteten Schädel wuchsen drahtige, dünne
Haarbüschel.
Sein Gesicht war der schiere Albtraum.
Es hatte eine flache, fliehende Stirn, boshafte Augen, die tief
unter dreieckigen Knochenwülsten lagen, und eine stumpfe
Wolfsschnauze voller schiefer, spitzer Zähne.
Das Schlimmste aber war, dass die gesamte Gestalt völlig
unproportioniert zu sein schien. Ihre Glieder waren
unterschiedlich lang, und die Pfote, mit der sie nach Abu Dun
geschlagen hatte, hatte mehr und längere Finger als die andere.
Das linke Bein, von dem der unheimliche Abdruck stammte,
schien gleich zwei Kniegelenke zu haben, während das andere
kürzer war und in einem gespaltenen Huf endete. Es war eine
dämonische Missgeburt, eine Kreatur, die es nicht geben durfte.
»Scheijtan!«, keuchte Abu Dun. Das Wort ließ nicht nur den
Dämon herumfahren, sondern riss auch Andrej aus seiner
Erstarrung. Als der Unhold sich umdrehte, um sich auf sein
gestürztes Opfer zu werfen,
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