Der Todesstoss
Etwas wie ein klagendes Seufzen,
unendlich weit entfernt und voller abgrundtiefen Schmerzes und
noch tieferer Furcht. Er deutete nach rechts in die Dunkelheit
hinein.
»Dort.«
»Aber da ist nichts!«, befand Birger. Er hatte nichts gehört,
und wie auch?
Selbst Andrej hatte Mühe, die genaue Richtung zu orten, aus
der das Stöhnen kam. Er beachtete Birgers Einwand nicht und
ging los. Abu Dun zog das Schwert und folgte ihm, und nach
kurzem Zögern schloss sich ihnen auch Birger an.
»Andrej, was tut Ihr?«, japste er. »Wir haben nicht viel Zeit!
Ich versichere Euch, da ist nichts!«
Andrej missachtete ihn weiterhin, aber Abu Dun sagte:
»Wenn Andrej sagt, dass dort etwas ist, dann ist dort etwas.«
»Verschwendete Zeit!« Birger wurde zornig. »Zeit, die wir
nicht haben!
Glaubt mir, wenn da vorne etwas wäre, dann hätten uns
Stefan und Johann längst gewarnt.«
»Ein guter Einwand«, knurrte Abu Dun. »Wo sind sie
überhaupt?«
»Sie sind vorausgeeilt, um den Weg zu sichern«, antwortete
Birger. »Sie hätten uns gewarnt, wenn sie etwas bemerkt
hätten.«
»Falls sie nicht gerade irgendwo dort vorne im Schnee liegen
und verbluten«, fügte Abu Dun hinzu. Er fuchtelte mit dem
Krummsäbel, und blitzende Lichtreflexe sprangen aus der
Klinge und schienen ihnen ein Stück vorauszueilen.
Birger gab auf, und Andrej beschleunigte seine Schritte noch
ein wenig.
Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber nun nahm er einen
ganz sachten, aber nur zu vertrauten Geruch wahr. Blut.
Frisches, warmes Blut. Er ging schneller, geleitet von dem
Blutgeruch, und so rasch, dass Birger und Abu Dun Mühe
hatten, ihn nicht zu verlieren.
Er entdeckte den Toten, als er eine flache Hügelkuppe hinter
sich gebracht hatte. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten
im Schnee, und es hätte der Unmengen von Blut, das im
Mondlicht eher schwarz als rot aussah, gar nicht bedurft, um auf
den ersten Blick zu erkennen, dass er tot war. Seine Glieder
waren auf schreckliche Weise verdreht und verrenkt, und eine
seiner Hände war abgerissen und lag ein Stück entfernt im
Schnee.
Hinter ihm sog Birger hörbar die Luft ein, und Abu Dun stieß
einen halblauten Fluch aus und beschleunigte seine Schritte,
sodass er gleichzeitig mit Andrej neben dem Toten anlangte.
Während Andrej neben dem Mann im Schnee niederkniete,
nahm er mit leicht gespreizten Beinen und erhobenem Schwert
neben ihm Aufstellung und drehte sich langsam um seine
eigene Achse, um Andrej gegen einen eventuellen Angreifer zu
schützen, der sich in der Dunkelheit verborgen halten mochte.
Andrej drehte den Toten behutsam auf den Rücken und hatte
Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Er war auf genügend
Schlachtfeldern gewesen, um zu glauben, dass ihn nichts mehr
erschrecken konnte.
Er irrte.
»Großer Gott!«, keuchte Birger hinter ihm. »Wer tut so
etwas?«
Andrej schloss für einen Moment die Augen. Als er sie
wieder öffnete, hatte sich sein rebellierender Magen immerhin
weit genug erholt, damit er den Leichnam einer zweiten und
etwas eingehenderen Musterung unterziehen konnte. Sein
Gesicht war nicht mehr zu erkennen, ebenso wenig sein Alter
oder seine Herkunft, aber man konnte zumindest sehen, dass er
wohl eine Art Soldat oder Krieger gewesen war. Im Schnee
neben ihm lag ein zerbrochenes Schwert.
»Habt Ihr diesen Mann schon einmal gesehen?«, fragte er.
»Seid Ihr sicher, dass es ein Mann war?«, gab Birger mit
belegter Stimme zurück.
Andrej sah zornig zu ihm hoch, und Birger schüttelte hastig
den Kopf.
»Er könnte zum Kloster gehören«, sagte er. »Sie tragen diese
Art von Schwertern.«
»Sagtest du nicht, sie wären keine Krieger?«, fragte Abu Dun
misstrauisch.
»Sie haben ein paar Wachen«, antwortete Birger. »Männer
des Landgrafen.«
»Ein paar Wachen, so«, grollte Abu Dun. Seine Stimme bebte
vor Zorn, aber er hörte nicht auf, sich langsam im Kreis zu
drehen und die Dunkelheit ringsum mit Blicken abzusuchen.
»Wie viele sind ein paar?«
»Nicht viele«, antwortete Birger stockend. »Vielleicht ein
halbes Dutzend.
Bestimmt nicht mehr.«
»Und wann wolltest du uns das sagen?«, fragte Andrej ruhig.
Birgers Blick tastete mit wachsender Unruhe den grässlich
verstümmelten Leichnam ab. »Wir wären ihnen vielleicht nicht
einmal begegnet«, verteidigte er sich. »Ich hatte nicht vor, das
ganze Kloster zu überfallen.«
»Das hatten wir auch nicht«, sagte Abu Dun. »Was hat den
Mann umgebracht, Andrej ?«
»Auf jeden Fall kein Mensch«, Andrej
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