Der Todesstoss
explodierte, und den er stillen musste, jetzt.
Wimmernd vor Begierde drückte er den Kopf des wehrlosen
Mannes nach hinten, hob die andere Hand und krümmte die
Finger zu einer tödlichen Klaue, um ihm die Kehle auf
zureißen.
Eine riesige Pranke schloss sich um sein Handgelenk und riss
ihn mit solcher Gewalt zurück, dass er glaubte, das Gelenk
würde aus der Schulter gezerrt. Andrej schrie vor Schmerz auf,
riss sich los und fuhr mit kampfbereit erhobenen Händen
herum.
Abu Dun schlug ihm die Faust unter das Kinn, und seine Knie
wurden weich und gaben unter dem Gewicht seines Körpers
nach. Sein Mund füllte sich mit Blut - seinem eigenen - und
alles um ihn herum begann sich zu drehen. Dann fegte lodernde
rote Wut Schmerz und Schwäche davon, und er sprang mit
einem Knurren auf die Füße.
Abu Dun versetzte ihm eine schallende Ohrfeige, die bunte
Sterne vor seinen Augen explodieren ließ. Andrej taumelte, und
Abu Dun versetzte ihm eine zweite, noch heftigere Maulschelle,
die ihn endgültig in die Knie zwang.
Seine Glieder begannen haltlos zu zittern, und mit einem
Male fühlte er sich nur noch schwach. Er sank nach vorne,
versuchte vergebens, den Sturz abzufangen, und schlug schwer
mit dem Gesicht auf den rauen Boden auf.
Auch jetzt verlor er nicht das Bewusstsein, aber es verging
lange Zeit, bis er die Gewalt über seinen Körper zurückerlangt
hatte. Mühsam stemmte er sich in die Höhe, öffnete die Augen
und sah direkt in Abu Duns finsteres Gesicht.
»Hast du dich wieder in der Gewalt?«, fragte der Nubier.
Andrej nickte. Bevor er antwortete, tastete er mit spitzen
Fingern seinen Unterkiefer ab, wie um sich davon zu
überzeugen, dass er noch an Ort und Stelle war.
»Was war los?«, fragte Abu Dun.
»Ich …« Andrej blickte schaudernd zu dem reglosen Körper
auf der anderen Seite des Ganges hinüber. »Ich weiß es nicht.«
»Aber jetzt ist es vorbei?«
Andrej lauschte einen Moment in sich hinein. Da war noch
immer etwas Fremdes und Furchteinflößendes in ihm, aber die
grauenhafte Gier war erloschen. Er nickte. »Ja. Ich weiß nicht,
was …«
»Das ist jetzt unwichtig.« Abu Dun streckte die Hand aus, um
ihm auf die Füße zu helfen. »Du wirst es mir später erklären.
Jetzt müssen wir weiter. Ich habe das Mädchen gefunden.«
»Bist du sicher, dass es das richtige ist?«, fragte Andrej. Er
stand unsicher auf seinen Füßen. Abu Dun ließ seine Hand los,
und im ersten Moment wurde ihm schwindelig, als hätte der
Nubier damit auch zugleich eine unsichtbare Verbindung gelöst,
über die er ihm Kraft gespendet hatte.
»Die Auswahl ist nicht besonders groß«, sagte Abu Dun.
»Bist du sicher, dass du sie mitnehmen willst?«
»Wieso?«
Statt zu antworten, drehte Abu Dun sich herum und steuerte
eine der niedrigen Türen an, die auch diesen Gang säumten.
Andrej folgte ihm mit schleppenden Schritten. Er hatte das
Gefühl, Fieber zu bekommen. Es fiel ihm schwer, sich zu
bewegen. Als er neben Abu Dun ankam, hatte er fast vergessen,
was der Nubier zu ihm gesagt hatte.
Dabei wusste er längst, was mit ihm geschah, aber er weigerte
sich, es hinzunehmen. Nicht nur, weil er Angst davor hatte,
sondern weil es allem widersprach, woran er je geglaubt hatte.
Abu Dun hatte bisher an der kleinen Sichtluke gestanden, die
es auch in dieser Tür gab. Jetzt trat er zur Seite, um den Platz
für Andrej freizugeben.
Auch diese Zelle war winzig; kaum größer als ein Alkoven.
Das Mädchen stand nackt, und auf die gleiche qualvolle Weise
aufrecht an die Wand gekettet wie der Tote, den sie vorhin
gefunden hatten, der Tür gegenüber und schien zu schlafen. Als
Andrej es sah, fuhr er zusammen wie unter einem
Peitschenhieb.
Das Mädchen bot einen Grauen erregenden Anblick. Birger
hatte gesagt, dass seine Tochter zwölf Jahre alt wäre, doch
Andrej konnte erkennen, dass sie körperlich bereits zu einer
Frau herangewachsen war. Ihr Körper war mit unzähligen
Striemen, Narben und erst halb verschorften Wunden übersät;
Spuren von Peitschenhieben und anderen bestialischen Dingen,
die man ihr angetan hatte. Ihre Handgelenke waren unförmig
angeschwollen und zu dick vereiterten Wunden geworden, weil
sie seit Tagen und Wochen (Wochen?
dachte Andrej schaudernd. Großer Gott -möglicherweise seit
zwei Jahren) mit hoch über den Kopf erhobenen Armen an die
Wand gekettet waren.
Sie stand fast knöcheltief in ihrem eigenen Schmutz. Selbst
hier draußen war der Gestank, der Andrej entgegenschlug,
Weitere Kostenlose Bücher