Der Todesstoss
hinter sich, und er wusste,
was sie zu bedeuten hatte, aber er war nicht mehr in der Lage,
sie abzuwehren. Er spürte noch den grausamen Schmerz, als
Stefan ihm den Dolch in den Rücken stieß.
Dann nichts mehr.
Es folgte eine Zeit der Qual, doch obwohl sie aus nichts
anderem bestand als aus einem schieren Überlebenskampf,
gepaart mit wüsten Fieberträumen, begriff er doch zweierlei: Er
lebte noch, und er würde auch weiter am Leben bleiben, und er
hatte anscheinend seine Unsterblichkeit verloren oder
zumindest einen großen Teil davon eingebüßt. Was er nun
erlebte - und vor allem erlitt - war ihm nicht fremd. Er war
unzählige Male verletzt worden, nur dass nun Tage, wenn nicht
Wochen vergingen, während seine unglaubliche
Wandlungsfähigkeit die Verletzungen sonst binnen weniger
Augenblicke heilte.
Irgendwann erwachte er, fiebernd und in Schweiß gebadet,
und so schwach wie nie zuvor. Geräusche waren ringsum ihn
herum, Schritte und Stimmen und Gesichter, die sich über ihn
beugten, Hände, die größtenteils unangenehme Dinge mit
seinem Körper taten.
Er schlief wieder ein, erwachte wieder, schlief wieder ein und
erwachte wieder, und irgendwann erwachte er endgültig.
Es war dunkel. Er lag auf dem Rücken auf einem harten Bett,
und es war sehr kalt. Er wollte etwas sagen, aber sein Kehlkopf
war wie ausgedörrt und fühlte sich an wie heißer Wüstensand.
Irgendwo neben ihm brannte eine Kerze, aber ihr Licht reichte
nicht wirklich aus, um Einzelheiten zu erkennen, sondern
verwandelte die Schwärze nur in ein mattes Glühen aus Gelb
und verschiedenen Brauntönen.
Er versuchte sich zu bewegen. Es gelang ihm nicht, aber der
Versuch erzeugte eine andere Bewegung links neben ihm, in der
Richtung, in der sich die Kerze befand. Etwas raschelte, dann
nahm er einen noch dunkleren Schatten in der Dämmerung
wahr. Ein Gesicht - es kam ihm seltsam vertraut vor, aber er
wusste nicht wieso - beugte sich über ihn, helle und sehr klare
Augen blickten mit eindeutiger Sorge auf ihn herab.
»Versucht nicht, Euch zu bewegen«, sagte der Fremde. »Ich
bringe Euch Wasser.« Er löste sich in der falschen Dämmerung
auf, ohne sich wirklich zu bewegen, und schien im gleichen
Moment schon wieder zu erscheinen, einen aus Holz
geschnitzten Becher in der einen und ein sauberes Tuch in der
anderen Hand. Andrej hätte sein Leben für einen einzigen
Schluck aus diesem Becher gegeben, auch wenn ihm erst bei
seinem Anblick überhaupt klar wurde, wie durstig er war, aber
der junge Mann tauchte nur einen Zipfel des Tuches hinein,
beugte sich vor und betupfte seine Lippen. Sie waren so
trocken, dass die Nässe im ersten Moment schmerzte, aber
zugleich tat sie auch un-glaublich gut.
Sein Wohltäter - er trug ein schlichtes dunkles Gewand, fast
wie eine Mönchskutte - wartete, bis die wenigen Tropfen auf
seinen Lippen versickert waren, dann wiederholte er die
Prozedur noch einige Male, bis er endlich den Becher ansetzte
und Andrej gestattete, einige wenige Schlucke zu trinken.
»Das genügt«, sagte er, während er den Becher absetzte. »Ich
weiß, diese wenigen Schlucke reichen nicht, um Euren Durst zu
löschen, aber mehr wäre nicht gut. Ihr würdet Euch
wahrscheinlich erbrechen.«
Andrej wusste, dass er Recht hatte, aber das machte die Qual
nicht geringer.
Er versuchte zu sprechen, doch es gelang ihm erst, nachdem
er zum dritten oder vierten Mal dazu angesetzt hatte.
»Abu … Dun«, krächzte er. Die beiden Worte brannten wie
Feuer in seiner Kehle.
»Versucht nicht zu reden«, sagte der Fremde. »Wenn Ihr
Euren dunkelhäutigen Freund meint, er ist am Leben. Macht
Euch keine Sorgen. Jetzt schlaft. Ihr habt das Schlimmste
überstanden, aber Ihr habt viel Blut verloren und solltet mit
Euren Kräften haushalten, wenn Ihr keinen Rückfall riskieren
wollt. Also schlaft.«
Andrej gehorchte. Als er wieder erwachte, war die Kerze
heruntergebrannt, aber es war trotzdem heller geworden. Graues
Zwielicht erfüllte das Zimmer, und es war noch immer bitter
kalt.
Er drehte mühsam den Kopf und erkannte eine schlanke
Gestalt, die nach vorne gesunken auf einem Stuhl neben seinem
Bett saß und schlief. Der junge Prediger, der ihm Wasser
gegeben hatte. Es war derselbe Mann, den er nachts im Torgang
beinahe erschlagen hätte.
Der Folterknecht.
Es fiel Andrej schwer, in diesem jungen Geistlichen mit den
wachen Augen und der freundlichen Stimme eines der Monster
zu sehen, die dem unschuldigen Kind all diese
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