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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bewegung, die so mühevoll und
schwerfällig war wie die eines um fünfzig Jahre älteren
Mannes, ließ er sich auf die Bettkante sinken und faltete die
Hände im Schoß. Seine Schultern sanken nach vorne.
»Ihr könnt das nicht wissen, aber Benedikts Worte waren eine
Warnung, die ich bitter ernst nehme, Andrej. Die Inquisition ist
stark in diesem Land, und ihr Arm reicht weit. Es gibt viele, die
insgeheim der Meinung sind, dass unser Tun hier nicht weniger
als Hexerei ist, und dass ich eigentlich auf den Scheiterhaufen
gehöre. Verbrennen sie dort, wo Ihr her kommt, auch
Menschen, weil sie sie für Hexen halten?«
Andrej schwieg, aber das war Thobias anscheinend Antwort
genug, denn er fuhr fort: »Hier tun sie es. Manchmal reicht es
schon, den Neid eines Nachbarn zu erregen. Der Vorwurf allein
ist oft genug das sichere Todesurteil. Die Menschen sind so
dumm! Sie deuten auf ihren Nachbarn und schreien Hexe!, weil
sie sein Land oder sein Geld haben wollen, und sie klatschen
vor Begeisterung in die Hände, wenn das Feuer lodert. Sie
begreifen nicht, dass sie vielleicht die Nächsten sind, die
brennen.« Seine Stimme wurde leiser. »Vielleicht bin ich der
Nächste, der brennt.«
»Wieso?«, fragte Andrej.
Thobias drehte müde den Kopf und sah ihn an. Andrej konnte
erkennen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, aber er konnte
ebenso deutlich erkennen, dass er in die Augen eines Mannes
blickte, der zutiefst verzweifelt war.
»Weil ich helfen wollte«, sagte Thobias schließlich. »Ich
wollte den Menschen helfen, ihre Dummheit zu überwinden.
Ihnen zeigen, was hinter ihrem Aberglauben steckt, und …« Er
brach ab.
»Indem Ihr Kinder foltert?«
Aus der Verzweiflung in Thobias’ Augen wurde Bitterkeit,
und Andrej begriff, dass er ihn verletzt hatte. Das war nicht
seine Absicht gewesen. Es tat ihm Leid.
Bruder Thobias stand auf, ließ sich vor Andrej auf die Knie
sinken und zog einen Schlüssel aus der Tasche seines
Gewandes, mit dem er den eisernen Ring um sein Fußgelenk
öffnete.
»Habe ich Euer Wort?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Andrej. »Auch wenn diese Frage spät
kommt.«
Thobias blickte den Schlüssel in seiner rechten und den
geöffneten Eisenring in seiner linken Hand einen Moment lang
an, dann zuckte er mit den Achseln und rettete sich in ein
Lächeln.
»Kommt mit«, sagte er.
Als sie das Zimmer verlassen hatten, schlossen sich ihnen
zwei Wachen an, die auf dem Gang gewartet hatten. So
vertrauensselig, wie Thobias sich gab, war er offensichtlich
doch nicht. Seltsamerweise fühlte sich Andrej durch diese
Erkenntnis eher beruhigt.
    Er sah sich sehr aufmerksam um, während sie den langen,
fensterlosen Gang und anschließend eine steinerne Treppe
hinunterstiegen, bevor sie das Gebäude verließen und auf den
Hof hinaustraten. Es war sehr still, und niemand begegnete
ihnen. Andrej sah sich um. Der erste Eindruck, den er von der
Klosterfestung gehabt hatte, bestätigte sich: Er wäre nicht
sonderlich überrascht gewesen zu erfahren, dass Thobias der
einzige Geistliche hier war.
    Sie überquerten den Hof und gingen die Treppe zum Kerker
hinab. Die Gittertüren standen nun beide offen, und die Fackeln
waren erloschen; offensichtlich war Birgers Tochter die einzige
Gefangene hier unten gewesen.
    Sie betraten den Gang, den er und Abu Dun gemieden hatten.
Thobias entzündete eine Fackel, steuerte mit raschen Schritten
eine Tür am anderen Ende des Ganges an und öffnete sie mit
Hilfe eines zweiten, sehr kompliziert aussehenden Schlüssels,
den er aus den Tiefen seines Gewandes zu Tage förderte.
Nachdem er geduckt durch die niedrige Tür getreten war,
steckte er die Fackel in einen schmiedeeisernen Halter an der
Wand und entzündete anschließend eine stattliche Anzahl an
Kerzen. Dann winkte er Andrej zu sich herein und schloss die
Tür, bevor die Wachen ihnen folgen konnten.
    »Ich habe Euer Wort«, erinnerte er Andrej.
Andrej antwortete mit einem abwesenden Nicken. Er blickte
um sich. Der Raum war weder eine Kerkerzelle noch eine
    Folterkammer; nichts von dem, was er hier unten erwartet hätte.
Vielmehr entpuppte er sich als kleines, hoffnungslos überfülltes
Studierzimmer, das mit Büchern, Pergamenten und Folianten
vollgestopft war. Auf einem grob gezimmerten Regal neben der
Tür reihten sich Töpfe, Tiegel, Gläser und Beutel unbekannten
Inhalts aneinander.
    »Ihr seid ein weit gereister Mann, Andrej«, begann Thobias,
nachdem er hinter dem schweren Schreibtisch Platz

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