Der Todesstoss
Bild von ihm«, sagte Andrej. Er
bedauerte die Worte schon, bevor er sie aus-gesprochen hatte,
aber es war zu spät. Thobias sah auf und funkelte ihn an. Der
erwartete Zornesausbruch blieb jedoch aus. Stattdessen erlosch
die Wut und machte einer Mischung aus Trauer und Bitterkeit
Platz.
»So viele sind gestorben«, murmelte er. »So viele
unschuldige Menschen, deren Leben ausgelöscht wurde.
»Ja, ihr sagtet, diese …« Andrej deutete auf Thobias’ krakelige
Tuschezeichnung. Seltsamerweise hatte er Schwierigkeiten, das
nächste Wort auszusprechen. »…diese Monster hätten
Menschen getötet.«
»Nicht nur sie«, antwortete Thobias. »Das waren auch wir.
Ich, Andrej.
Nicht mit meinen eigenen Händen, aber mit dem, was ich
getan habe. Was ich gesagt habe. Wisst Ihr, was für eine
gefürchtete Waffe das Wort ist, Andrej?
Schlimmer als jedes Schwert, und heißer als jedes Feuer.«
Ob er das wusste? Andrej hätte beinahe laut aufgelacht.
»Nach jener schrecklichen Nacht, in der wir auf das
Ungeheuer trafen«, fuhr Thobias fort, »hatte ich nichts Besseres
zu tun, als zu Vater Benedikt zu gehen und ihm zu berichten,
was uns widerfahren war. Ich habe es in bester Absicht getan,
Andrej, das müsst Ihr mir glauben. Ich dachte, ich wäre es den
braven Menschen von Trentklamm schuldig, ihre Seelen vor
dem Satan zu retten.«
Sein Blick und seine Stimme wurden hart. »Keine drei
Wochen später erschien die Inquisition in Trentklamm,
zusammen mit einer Abteilung Soldaten des Landgrafen. O ja,
sie haben den Menschen dort geholfen. Mit Feuer und Schwert
haben sie den Teufel aus der Stadt getrieben.«
Seine Stimme brach. Er konnte nicht weitersprechen, und
seine Hände schlossen sich mit solcher Kraft um die
Tischplatte, dass seine Knöchel knackten.
»Und was hat das alles mit dem Mädchen zu tun?«, fragte
Andrej, um Thobias aus der Hölle seiner Erinnerungen zurück
in die Wirklichkeit zu holen.
»Imret?« Thobias schluckte. »Sie und Wenzel waren die
Einzigen, die das Strafgericht der Inquisition überlebten. Vater
Benedikt und ich haben sie hierher gebracht.«
»Um sie zu foltern«, murmelte Andrej.
»Das haben wir nicht getan!«, behauptete Thobias. »Ich weiß,
was Ihr gesehen habt, Andrej, aber glaubt mir, es ist nicht das,
wonach es aussieht.
Wir haben diesen armen Menschen Schreckliches angetan.
Ich habe ihnen Schreckliches angetan, mit meinen eigenen
Händen, und wenn ich eines Tages vor Gottes Strafgericht
stehe, dann werde ich ohne Zweifel dafür büßen müssen. Aber
es geschah nicht aus Grausamkeit, sondern um ihnen zu
helfen.«
»Das sind genau die Worte, die ich einst aus dem Mund eines
Inquisitors gehört habe«, zischte Andrej. »Ich glaube, er sprach
sie in dem Augenblick, als er die Zangen ins Feuer legte.«
Er fragte sich, warum er das sagte. Erstens entsprach es nicht
der Wahrheit, und zweitens war er auf dem besten Wege, sich
um Kopf und Kragen zu reden. Trotz Thobias’ unerklärlicher
Offenheit lag sein Leben in den Händen des jungen Geistlichen.
Er wusste noch immer nicht, was er von seinem Gegenüber zu
halten hatte.
Vielleicht war Thobias wirklich das, was er zu sein vorgab,
aber möglicherweise war er auch einfach nur verrückt und
gefährlicher als Vater Benedikt.
Er wurde auch jetzt nicht zornig, sondern lächelte nur matt,
als hätte er genau diese Antwort Andrejs erwartet.
»Ihr habt völlig Recht, Andrej«, sagte er. »Es hieße, Gott zu
erniedrigen, wollte man behaupten, dass er es zuließe, dass
Satans Kreaturen frei auf der Erde wandeln.« Er machte wieder
eine Kopfbewegung in Richtung der Zeichnung. »Ich habe
diese Kreatur gesehen. Ich habe mit ihr gekämpft, Andrej, und
sie hätte mich fast umgebracht. Aber ich glaube nicht, dass es
ein Dämon war.«
Das glaubte Andrej ebenso wenig. Trotzdem fragte er: »Was
sonst?«
»Das versuche ich seit zwei Jahren herauszufinden«,
antwortete Thobias. Er schüttelte den Kopf. »Mein Vater und
ich haben damals auf Vater Benedikt eingeredet, und am Ende
gelang es uns, ihn zu überzeugen. Wäre es nach der Inquisition
gegangen, hätten sie Trentklamm bis auf die letzte Seele
ausgelöscht und das Dorf am Ende niedergebrannt. Aber es
gelang uns, Vater Benedikt auf unsere Seite zu ziehen. Lasst
Euch nicht von seinem weißen Haar und seiner Art zu sprechen
täuschen, Andrej. Er ist ein sehr weltoffener Mann, der weiß,
dass es töricht wäre, alles, was wir nicht verstehen, sofort dem
Satan zuzuschreiben. Er gab uns
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