Der Todesstoss
Mahlen ertönte, dann richtete sich das entstellte
Geschöpf auf und wandte ganz langsam den Kopf in seine
Richtung. Seine missgebildete Hundeschnauze war rot von
frischem Blut, und seine Augen schienen wie unter einem
unheimlichen inneren Feuer zu glühen. Andrej hatte nie zuvor
einen Ausdruck so vollkommener Mordlust in den Augen eines
lebenden Wesens gesehen.
Und das war noch nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war:
Es waren nicht die Augen eines Tieres. Was Andrej anstarrte,
das war kein stumpfsinniges Ungeheuer. In diesen
schrecklichen Augen, tief verborgen unter grenzenlosem Hass
auf alles Lebendige, lauerte eine messerscharfe Intelligenz und
ein beunruhigend großes, düsteres Wissen.
Taumelnd stemmte Andrej sich hoch. Das Ungeheuer folgte
jeder seiner Bewegungen aus funkelnden Augen, aber es
machte keine Anstalten, sich auf ihn zu stürzen, sondern senkte
nach einem Moment wieder den Schädel, um sein schreckliches
Mahl fortzusetzen.
Während das Reißen und Schlürfen anhielt, bückte sich
Andrej nach seinem Schwert, hob es auf und humpelte davon.
»Nein, ich weiß nicht, warum es mich nicht getötet hat.«
Andrej schüttelte zum wiederholten Mal den Kopf. »Es wäre
dazu in der Lage gewesen. Es hätte mich ebenso einholen und
töten können wie Günther. Aber es stand einfach nur da und hat
mich angestarrt.«
»Vielleicht hatte es Angst vor Eurem Schwert«, sagte Thobias
nachdenklich.
»Ihr sagt, es hätte nicht ausgesehen wie ein Tier?« Er sah
Andrej nicht an, während er sprach, sondern spielte
gedankenversunken mit dem Becher, in den er sich einen
kräftigen Schluck Wein eingeschenkt hatte. Im Gegensatz zu
Andrej hatte er bisher aber noch nicht einmal daran genippt.
»Angst?« Andrej schüttelte heftig den Kopf, setzte seinen
eigenen Becher an und leerte ihn in einem einzigen Zug.
Thobias runzelte die Stirn, schenkte ihm nach und betrachtete
Andrej nachdenklich, als der auch diesen Becher
hinunterstürzte. Thobias streckte die Hand nach dem Krug aus
und schob ihn so weit von sich fort, wie er konnte.
»Ich glaube nicht, dass dieses … dieses Ding überhaupt weiß,
was das Wort Angst bedeutet«, meinte Andrej mit einiger
Verspätung. Er warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung des
Weinkruges, den Thobias aber nicht beachtete.
Andrej war erst vor kurzer Zeit ins Kloster zurück-gekehrt,
und er hatte in dieser Zeit gute fünf oder sechs Becher von dem
schweren, süßen Messwein getrunken, ohne dass der Alkohol
auch nur eine Spur seiner beruhigenden Wirkung entfaltet hätte.
»Aber Ihr habt es gesehen«, sagte Thobias nach einer Weile.
»Immerhin.«
»Ihr klingt, als wärt Ihr froh darüber.«
Thobias hob die Schultern. »In gewisser Weise … Es tut mir
Leid um den armen Günther, aber ich bin dennoch froh, dass
ich nicht der Einzige bin, der das Geschöpf mit eigenen Augen
gesehen hat.«
»Darauf hätte ich gern verzichtet«, antwortete Andrej. »Aber
wir wissen jetzt, dass es noch lebt, und wir wissen auch wo.«
Thobias hörte auf, mit dem Becher herumzuspielen und sah
ihn nachdenklich an. »Dass es noch lebt?«
»Wie?«, fragte Andrej. Er hätte sich am liebsten selbst
geohrfeigt.
»Ihr sagtet: Dass es noch lebt«, wiederholte Thobias.
Andrej hob die Schultern. »Welche Rolle spielt das schon? Es
existiert, und wir müssen es vernichten.« Er atmete hörbar ein.
»Was uns wieder zu einem Punkt zurückbringt, über den wir
sprechen müssen: Abu Dun. Ich brauche ihn. In Freiheit, und
gesund und stark.«
»Nein«, sagte Thobias ruhig.
»Ich fürchte, Ihr versteht mich nicht«, sagte Andrej. »Ich
allein werde mit diesem Ungeheuer nicht fertig.«
»Ihr?« Thobias verzog spöttisch die Lippen, aber Andrej blieb
ruhig.
»Noch heute Morgen hätte ich gedacht, dass es nichts auf der
Welt gäbe, was mir Angst machen könnte«, sagte er. »Aber das
stimmt nicht. Dieses Geschöpf macht mir Angst, was immer es
auch ist. Ich allein bin nicht in der Lage, es für Euch zu töten.«
»Ich gebe Euch Männer mit«, sagte Thobias nach kurzem
Überlegen. »Ihr könnt vier meiner Soldaten haben. Sie sind gut.
Nicht so gut wie Ihr, aber sie verstehen ihr Handwerk, und sie
werden Euch gehorchen, wenn ich es ihnen befehle.«
»Aber Abu Dun …«
»… braucht Tage, um sich zu erholen«, fiel ihm Thobias ins
Wort. Er stand auf und schüttelte den Kopf. »Nein. Selbst wenn
ich Euch trauen würde, wir haben nicht die Zeit, um darauf zu
warten, dass Euer Freund wieder zu Kräften
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