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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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geben.
Sollte er den Vampyr in sich ein zweites Mal entfesseln, um
sich dem Kampf mit einem weiteren Werwolf zu stellen, würde
er nicht mehr als er selbst aufwachen.
Wie um alles in der Welt sollte er das Ungeheuer besiegen?
Während Andrej weiter nach Westen blickte, hatte er das
unheimliche Gefühl, die Nähe des Werwolfes noch immer zu
spüren. Er war dort hinten, unerreichbar und sicher hinter der
Schattenklamm und dem un-passierbaren Gelände, zu dem sie
führte, und dennoch beschlich ihn das Gefühl, dass es zugleich
hier war, in seiner unmittelbaren Nähe. In diesem Gebäude.
Vielleicht sogar in diesem Raum.
Vielleicht sogar in ihm selbst.
Er schlief erst lange nach Einbruch der Dunkelheit ein,
träumte schlecht und erwachte kurz nach Mitternacht von dem
Eindruck einer schrecklichen Gefahr, die sich über ihm
zusammenballte.
Andrej setzte sich mit einem Ruck auf. Seine Hand schloss
sich um das Schwert, das griffbereit neben seinem Bett an der
Wand lehnte, und der Blick seiner weit geöffneten Augen
tastete unstet durch das Zimmer, das sich ihm in denselben
unheimlichen Grau und Silberschattierungen darbot wie die
Höhle, in der sie den Kadaver gefunden hatten.
Er war allein. Selbst ohne sein auf so unheimliche Weise
verstärktes Augenlicht hätte er gewusst, wenn irgendjemand im
Zimmer gewesen wäre, denn auch alle seine anderen Sinne
arbeiteten plötzlich mit nie gekannter Schärfe. Er konnte den
Wein in dem Krug riechen, die Reste des längst kalt
gewordenen Bratens, den ihm ein schweigsamer Soldat am
Abend gebracht hatte, und er hörte ein ganz leises Tapsen, das
er voller Erstaunen als das Huschen einer Maus identifizierte,
die durch die Dunkelheit lief. Ein kleiner Appetithappen, aber
nicht der Mühe wert, aufzustehen und danach zu jagen.
Andrej verscheuchte diesen erschreckenden Gedanken,
schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Angestrengt
versuchte er sich darauf zu besinnen, weshalb er aufgewacht
war.
Er war nicht mehr allein. Das Ungeheuer war hier. Nicht bei
ihm im Zimmer, aber in der Burg.
Rasch bückte sich Andrej nach seinen Kleidern, schlüpfte
hinein und trat dann ans Fenster. Der Innenhof der
Klosterfestung lag dunkel und unbeleuchtet unter ihm. Trotz der
Finsternis war sein Sehvermögen nicht eingeschränkter als bei
Tage. Er erkannte, dass die Mauer ohne Wache war, und er
konnte sogar die Stimmen der beiden Soldaten hören, die unten
im Torgewölbe Wache hielten. Auch das Gefühl der Bedrohung
kam von dort.
Andrej lauschte in sich hinein. Es war kein Gefühl. Er konnte
den Werwolf wittern.
Wie am Tag zuvor wusste er, was geschehen würde, und
genau wie am Tag zuvor war es zu spät, um es zu verhindern
oder auch nur einen warnenden Schrei auszustoßen. Die
Unterhaltung der beiden Männer brach plötzlich ab.
Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen, dann hörte
Andrej einen überraschten Ausruf und ein Schwert, das aus der
Scheide gerissen wurde.
Er wartete nicht darauf, was weiter geschehen würde, sondern
rannte los.
Mit zwei gewaltigen Sätzen durchquerte er den Raum, riss die
Tür auf und stürmte den unbeleuchteten Gang hinunter, bis er
die Treppe erreichte.
Es war ein verzweifeltes Wettrennen gegen die Zeit, und er
wusste von Anfang an, dass er es verlieren würde. Immer zwei
oder drei Stufen auf einmal nehmend, hetzte er die Treppe
hinunter, durch die schmucklose Eingangshalle und hinaus auf
den Hof.
Eine Übelkeit erregende Woge aus Blut- und Fäkaliengestank
schlug ihm entgegen, als er das Torgewölbe erreichte. Andrej
blieb entsetzt stehen.
Die beiden Soldaten waren tot, und obgleich sie einen
entsetzlichen Anblick boten, begriff er doch, dass sie eines
schnellen Todes gestorben waren. Der Werwolf hatte sich nicht
lange mit ihnen aufgehalten, sondern sie blitzartig überwältigt
und seinen Weg fortgesetzt. Aber wohin?
Andrej blickte mit wachsender Verzweiflung um sich. Er fand
einen einzelnen blutigen Fußabdruck. Wie sich zeigte, war es
jedoch nicht nötig, der Fährte des Ungeheuers zu folgen. Ein
Schrei ertönte, gedämpft und sonderbar flach, als käme er aus
dem Inneren der Erde, dann folgte ein Splittern wie von Holz
oder Metall, das zerrissen wurde. Das Verlies!
Mit einem Schrei fuhr Andrej herum und raste auf das
Treppenhaus zu. Der Schrei wiederholte sich, während er die
ausgetretenen Steinstufen hinunterstürmte. Er fand den ersten
Toten, noch bevor er den winzigen Vorraum erreichte. Der
Mann lag verkrümmt auf den Steinstufen.

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