Der Todesstoss
bevor der Nubier endlich die Augen aufschlug. Andrej
war dennoch nicht sicher, dass er wirklich wach war. Abu Duns
Augen blickten trüb, und für einen Moment glaubte er
tatsächlich, die verzehrende Flamme des Fiebers zu erkennen,
das dahinter loderte und ihn langsam von innen heraus auffraß.
»Durst«, krächzte Abu Dun. »Ich … ich habe Durst.«
»Wir haben kein Wasser«, sagte Andrej bedauernd. Er
verfluchte sich, und das nicht zum ersten Mal. Sie hatten nicht
nur kein Wasser, sie hatten nichts. Ihre Flucht aus der
Klosterfestung war mehr als überhastet gewesen - dabei hätte es
nur eines kurzen Aufschubs bedurft, um Vorräte und Wasser zu
suchen. Dieser Fehler hätte ihm nicht unterlaufen dürfen. Früher
wäre ihm dieser Fehler nicht unterlaufen.
»Ich gehe und suche Wasser«, sagte er. »Ich bin sicher, dass
ich welches finde, keine Sorge.«
Er wollte aufstehen, aber Abu Dun griff nach seinem Arm
und hielt ihn mit solcher Kraft fest, dass es wehtat.
»Nein!«, keuchte er. »Lass mich nicht … nicht allein.«
Andrej versuchte sich loszumachen, aber Abu Dun hielt ihn
mit so verzweifelter Kraft fest, dass er ihm die Finger hätte
brechen müssen. »Du brauchst Wasser«, sagte er. »Du hast
hohes Fieber.«
»Hilf mir«, murmelte Abu Dun. »Ich … ich brauche kein
Wasser. Du kannst mir helfen.«
»Aber dazu muss ich …«
»Du kannst mir helfen«, unterbrach ihn Abu Dun. »Du weißt
es. Mach …
mach mich so wie … wie du.«
»Du weißt, dass ich das nicht kann«, sagte Andrej leise.
»Du kannst es«, beharrte der Nubier. Er stöhnte. Sein Körper
zuckte unkontrolliert in Fieberkrämpfen. »Ich sterbe,
Hexenmeister. Ich will, dass du … dass du mich verwandelst.
Mach mich zu einem wie dich. Mach mich zum Vampyr.«
»Du weißt nicht, was du da redest«, sagte Andrej, aber Abu
Dun unterbrach ihn erneut, indem er ihn mit schriller Stimme
anschrie: »Du bist es mir schuldig! Sie haben mir das alles nur
deinetwegen angetan!«
»Das weiß ich«, meinte Andrej sanft. »Und es tut mir
unendlich Leid. Aber ich kann nicht tun, was du von mir
verlangst.«
»Du schuldest es mir«, beharrte Abu Dun. »Ich bin seit zehn
Jahren bei dir.
Ich habe dir hundertmal den Hals gerettet, und jetzt lässt du
mich sterben. Ich verlange es. Hörst du, Hexenmeister? Ich
verlange es!«
Andrej befreite sich nun doch mit sanfter Gewalt aus Abu
Duns Griff. Er verzichtete auf eine Antwort. Sie wäre ohnehin
sinnlos gewesen. Im gleichen Moment, in dem er seine Hand
abgestreift hatte, war der Nubier wieder zurückgesunken und
hatte zu stöhnen begonnen. Seine Augen waren noch immer
weit geöffnet. Andrej bezweifelte, dass er ihn noch gehört hätte.
Er fantasierte und hatte hohes Fieber. Seine Stirn schien zu
glühen, als Andrej vorsichtig die Hand darauf legte. Er brauchte
dringend Wasser. Andrej stand auf und verließ mit sehr
schnellen Schritten die Kapelle.
Auf diese Weise vergingen die nächsten drei Tage. Andrej
hatte sowohl Wasser gefunden als auch genügend Wild erlegt,
und er hatte in den Jahren, die sie auf der Flucht vor dem Krieg
und den heranrückenden Türken in den Wäldern gelebt hatten,
gelernt, rauchloses Feuer zu machen, sodass sie nicht mehr
gezwungen waren, das Fleisch roh zu verzehren. Als der ärgste
Dreck aus der Kapelle geschafft war, hatte Andrej es nach
langem Zögern und mit einem schlechten Gefühl am Ende doch
gewagt, nach Trentklamm zu gehen und Kleider für Abu Dun
zu stehlen.
Abgesehen davon hatte er fast die gesamte Zeit an Abu Duns
Lager verbracht. Der Nubier hatte beinahe ununterbrochen
geschlafen. Sein Fieber war nur langsam gesunken, aber es
hatte schließlich nachgelassen, und schon am zweiten Tag hatte
er aufgehört zu fantasieren und im Schlaf um sich zu schlagen.
Kurz vor Sonnenaufgang des vierten Tages - noch drei Tage,
bis Vater Benedikt und die Inquisition hier sein würden -
erwachte Abu Dun zum ersten Mal klar und ohne Fieber und
verlangte mit schwacher, aber sehr klarer Stimme nach Wasser
und etwas zu essen. Andrej stand sofort auf und brachte ihm
beides.
Sie hatten genügend Wasser, und vom Vortag war noch die
Hälfte eines Hasen übrig, den Andrej mit bloßen Händen erlegt
und an einem Stock über dem Feuer gebraten hatte, das in
einem vor direkter Sicht geschützten Loch hinter der Kapelle
angelegt war.
Er sah mit großem Vergnügen zu, wie Abu Dun den gesamten
Braten verzehrte und anschließend einen gierigen Blick auf den
Haufen abgenagter
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