Der Todschlaeger
Ehepaaren
geregelt, wie die Dinge vor sich gehen sollten.
Sie legte ihren Schal wieder um und setzte ihre
Haube wieder auf; steif in ihren Röcken, ging
sie mit wichtiger Miene nach oben. Unten
rührte die Wäscherin, ohne ein Wort zu sagen,
weiter ihre Suppe um, Suppe mit Fadennudeln.
Die jäh ernst gewordene Gesellschaft wartete
feierlich.
Frau Lerat erschien als erste wieder. Sie hatte
den Weg über die Straße genommen, um der
Versöhnung mehr Gepränge zu verleihen. Mit
der Hand hielt sie die Tür des Ladens weit
offen, während Frau Lorilleux im seidenen
Kleid auf der Schwelle stehenblieb. Alle Gäste
waren aufgestanden, Gervaise trat vor, küßte
ihre Schwägerin, wie es vereinbart worden
war, und sagte:
»Wohlan, treten Sie ein. Es ist erledigt, nicht
wahr? – Wir werden beide nett sein.«
Und Frau Lorilleux erwiderte:
»Ich wünsche nichts sehnlicher, als daß dies
immer so bleibe.«
Als sie eingetreten war, blieb Lorilleux
ebenfalls auf der Schwelle stehen, und er
wartete auch darauf, geküßt zu werden, bevor
er in den Laden vordrang. Keiner von beiden
hatte ein Geschenk mitgebracht; sie hatten sich
dagegen gesträubt, sie fanden, es sähe zu sehr
danach aus, als würden sie sich Hinkebein
unterwerfen, wenn sie beim ersten Mal mit
Blumen zu ihr kämen. Inzwischen rief
Gervaise Augustine zu, sie solle zwei Liter
Wein herbringen. Dann schenkte sie auf einem
Ende des Tisches Wein in Gläser und rief alle
herbei. Und jeder nahm ein Glas, und man
stieß auf die gute Freundschaft der Familie an.
Es trat Schweigen ein, die Gesellschaft trank,
die Damen kippten alles in einem Zug bis zum
letzten Tropfen hinter.
»Nichts ist besser vor der Suppe«, erklärte
Boche, mit der Zunge schnalzend. »Das ist
besser als ein Fußtritt in den Hintern.«
Mama Coupeau hatte sich der Tür gegenüber
aufgestellt, um zu sehen, was für ein Gesicht
die Lorilleux machten. Sie zupfte Gervaise am
Rock und zog sie mit in den hinteren Raum.
Und über die Suppe gebeugt, redeten beide
lebhaft mit leiser Stimme.
»Na? Die haben aber eine Fresse gemacht!«
sagte die alte Frau. »Sie haben sie ja nicht
sehen können. Aber ich, ich habe genau auf sie
aufgepaßt ... Als sie den Tisch gesehen hat,
also da hat die ihr Gesicht verzogen, aber wie!
Ihre Mundwinkel sind förmlich bis zu den
Augen hochgerutscht; und er, ihm hat es den
Atem verschlagen, er hat angefangen zu
husten ... Nun schauen Sie sie sich dahinten
an; ihnen bleibt die Spucke weg, sie beißen
sich auf die Lippen.«
»Es tut einem weh, dermaßen neidische
Leute«, murmelte Gervaise.
Wirklich, die Lorilleux machten ein komisches
Gesicht. Bestimmt hat es niemand gern, an die
Wand gedrückt zu werden; wenn die einen
Erfolg haben, toben die anderen, besonders in
den Familien, das ist ganz natürlich. Bloß, man
nimmt sich zusammen, nicht wahr, und liefert
den Leuten kein Schauspiel. Na schön, die
Lorilleux
konnten
sich
nicht
zusammennehmen. Es ging über ihre Kräfte,
sie guckten scheel, die Gusche stand ihnen
schief. Schließlich war das ihnen so deutlich
anzumerken, daß alle anderen Gäste sie
ansahen und sie fragten, ob ihnen etwa nicht
wohl sei. Niemals würden sie das schlucken,
die Tafel mit ihren vierzehn Gedecken, ihrer
weißen Tischwäsche, ihrem im voraus
geschnittenen Brot. Man hätte meinen können,
in einem Restaurant auf den Boulevards zu
sein. Frau Lorilleux ging ringsherum und
senkte die Nase, um die Blumen nicht zu
sehen; und heimlich befühlte sie das große
Tischtuch, von dem Gedanken gequält, daß es
wohl neu sei.
»Wir sind soweit!« rief Gervaise, als sie mit
nackten Armen und ihren flatternden blonden
Härchen über den Schläfen lächelnd wieder
zum Vorschein kam.
Die Gäste traten rings um den Tisch von einem
Bein aufs andere. Alle hatten Hunger, gähnten
leicht mit verdrießlicher Miene.
»Wenn der Meister käme«, meinte die
Wäscherin, »könnten wir anfangen.«
»Na ja«, sagte Frau Lorilleux, »die Suppe hat
ja Zeit zum Abkühlen ... Coupeau vergißt
immer alles. Man durfte ihn nicht losziehen
lassen.«
Es war bereits halb sieben. Nun brannte alles
an; die Gans würde zu kroß gebraten sein. Da
sprach Gervaise, die untröstlich war, davon,
jemand in das Viertel zu schicken, um in den
Weinschenken nachzusehen, ob man Coupeau
nicht erblicke. Als sich dann Goujet dazu
erbot, wollte sie mitgehen; Virginie, die um
ihren Mann besorgt war, begleitete
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