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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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beide. Alle
    drei gingen ohne Hut, versperrten den
    Bürgersteig. Der Schmied, der seinen Gehrock
    anhatte, hielt Gervaise an seinem linken Arm
    und Virginie an seinem rechten Arm: er
    komme sich vor wie ein Henkelkorb, sagte er;
    und dieser Ausspruch kam ihnen so komisch
    vor, daß sie stehenblieben, wie gerädert vom
    Lachen. Sie betrachteten sich in der
    Schaufensterscheibe des Fleischers, sie lachten
    noch stärker. Auf den ganz in Schwarz
    gekleideten Goujet wirkten die beiden Frauen
    wie zwei gesprenkelte Puttchen, die
    Schneiderin in ihrer mit Rosensträußchen
    übersäten Musselintoilette, die Wäscherin im
    weißen blaugetupften Perkalkleid mit nackten
    Handgelenken und einer um den Hals
    geschlungenen kleinen Krawatte aus grauer
    Seide. Die Leute drehten sich um, um sie zu
    sehen, wie sie da so lustig und frisch im
    Sonntagsstaat an einem Wochentag
    vorübergingen und dabei die Menge
    anrempelten, die die Rue des Poissonniers an
    dem lauen Juniabend verstopfte. Aber es galt
    nicht zu scherzen. Sie gingen stracks auf die
    Tür jeder Weinschenke zu, reckten den Kopf,
    suchten vor dem Schanktisch. War Coupeau,
    dieser Blödian, etwa fortgegangen, um sein
    Schnäpschen am Arc de Triomphe55 zu
    trinken? Schon hatten sie den ganzen oberen
    Teil der Straße abgeklappert und an den in
    Frage kommenden Stellen nachgeschaut: in
    der »Petite Civette«, die wegen ihrer Pflaumen
    berühmt war; bei Mutter Baquet, die Wein aus
    Orleans zu acht Sous verkaufte; im
    »Papillon«56, dem Treffpunkt der Herren
    Kutscher, schwieriger Leute. Kein Coupeau
    da. Als sie dann zum Boulevard hinabgingen,
    stieß Gervaise, wie sie bei François, dem
    Budiker an der Ecke, vorbeikamen, einen
    leichten Schrei aus. »Was denn?« fragte
    Goujet.
    Die Wäscherin lachte nicht mehr. Sie war ganz
    weiß und so aufgeregt, daß sie beinahe
    hingefallen wäre. Virginie begriff mit einem
    Schlage, als sie bei François an einem Tisch
    Lantier sitzen sah, der seelenruhig zu Abend
    speiste. Die beiden Frauen zogen den Schmied
    weiter.
    »Mir ist der Fuß umgeknickt«, sagte Gervaise,
    als sie wieder sprechen konnte.
    Endlich entdeckten sie Coupeau und Poisson
    am unteren Ende der Straße in Vater
    Golombes »Assommoir«, im »Totschläger«.
    Sie standen inmitten eines Haufens von
    Männern. Coupeau, der einen grauen Kittel
    anhatte, schrie mit wütenden Gebärden und
    hieb mit der Faust auf den Schanktisch;
    Poisson, der an diesem Tage keinen Dienst
    hatte und in einen alten kastanienbraunen
    Überzieher gezwängt war, hörte ihm mit
    dumpfer und schweigsamer Miene zu, wobei
    er seinen roten Napoleonbart zwirbelte. Goujet
    ließ die Frauen am Rand des Bürgersteiges
    zurück und legte seine Hand auf die Schulter
    des Bauklempners. Aber als dieser Gervaise
    und Virginie draußen erblickte, wurde er böse.
    Wer hatte ihm bloß diese Sorte von Weibern
    angeschleppt? Jetzt rückten ihm schon die
    Unterröcke auf den Hals! Na, er würde sich
    nicht wegrühren, mochten sie doch ihren
    Saufraß von Abendessen allein fressen. Um
    ihn zu beruhigen, mußte Goujet eine Lage von
    irgendeinem Zeug annehmen; überdies brachte
    Coupeau die Bosheit auf, fünf reichliche
    Minuten vor dem Schanktisch herumzutrödeln.
    Als er endlich hinausging, sagte er zu seiner
    Frau:
    »Das paßt mir nicht ... Ich bleibe, wo ich zu
    tun habe, verstehst du!«
    Sie erwiderte nichts. Sie zitterte am ganzen
    Leibe. Sie mußte mit Virginie über Lantier
    gesprochen haben, denn diese trieb ihren
    Mann und Goujet voran, indem sie ihnen
    zurief, sie sollten vorausgehen. Die beiden
    Frauen nahmen dann den Bauklempner in die
    Mitte, um ihn zu beschäftigen und um zu
    verhindern, daß er etwas sah. Er war kaum
    beschwipst, mehr vom Herumbrüllen als vom
    Trinken benebelt. Da sie anscheinend den
    linken Bürgersteig entlanggehen wollten,
    rempelte er sie aus Neckerei an und ging auf
    den rechten Bürgersteig hinüber. Erschrocken
    liefen sie hinterher und trachteten die Tür von
    François zu verdecken. Aber Coupeau mußte
    wissen, daß Lantier dort war. Gervaise war
    starr vor Entsetzen, als sie ihn brummen hörte:
    »Ja, mein Schätzchen, nicht wahr, da drin sitzt
    ein Kerl, einer von unsern Bekannten. Mußt
    mich nicht für einen Trottel halten ... Wenn ich
    dich noch mal beim Rumbummeln schnappe
    mit deinen Schmach taugen!« Und er ließ rohe
    Worte vom Stapel. Nicht ihn suche sie, mit
    nackigten Ellbogen und mit Mehl
    eingepuderter Gusche, sondern ihren
    ehemaligen Luden. Dann wurde er

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