Der Todschlaeger
beide. Alle
drei gingen ohne Hut, versperrten den
Bürgersteig. Der Schmied, der seinen Gehrock
anhatte, hielt Gervaise an seinem linken Arm
und Virginie an seinem rechten Arm: er
komme sich vor wie ein Henkelkorb, sagte er;
und dieser Ausspruch kam ihnen so komisch
vor, daß sie stehenblieben, wie gerädert vom
Lachen. Sie betrachteten sich in der
Schaufensterscheibe des Fleischers, sie lachten
noch stärker. Auf den ganz in Schwarz
gekleideten Goujet wirkten die beiden Frauen
wie zwei gesprenkelte Puttchen, die
Schneiderin in ihrer mit Rosensträußchen
übersäten Musselintoilette, die Wäscherin im
weißen blaugetupften Perkalkleid mit nackten
Handgelenken und einer um den Hals
geschlungenen kleinen Krawatte aus grauer
Seide. Die Leute drehten sich um, um sie zu
sehen, wie sie da so lustig und frisch im
Sonntagsstaat an einem Wochentag
vorübergingen und dabei die Menge
anrempelten, die die Rue des Poissonniers an
dem lauen Juniabend verstopfte. Aber es galt
nicht zu scherzen. Sie gingen stracks auf die
Tür jeder Weinschenke zu, reckten den Kopf,
suchten vor dem Schanktisch. War Coupeau,
dieser Blödian, etwa fortgegangen, um sein
Schnäpschen am Arc de Triomphe55 zu
trinken? Schon hatten sie den ganzen oberen
Teil der Straße abgeklappert und an den in
Frage kommenden Stellen nachgeschaut: in
der »Petite Civette«, die wegen ihrer Pflaumen
berühmt war; bei Mutter Baquet, die Wein aus
Orleans zu acht Sous verkaufte; im
»Papillon«56, dem Treffpunkt der Herren
Kutscher, schwieriger Leute. Kein Coupeau
da. Als sie dann zum Boulevard hinabgingen,
stieß Gervaise, wie sie bei François, dem
Budiker an der Ecke, vorbeikamen, einen
leichten Schrei aus. »Was denn?« fragte
Goujet.
Die Wäscherin lachte nicht mehr. Sie war ganz
weiß und so aufgeregt, daß sie beinahe
hingefallen wäre. Virginie begriff mit einem
Schlage, als sie bei François an einem Tisch
Lantier sitzen sah, der seelenruhig zu Abend
speiste. Die beiden Frauen zogen den Schmied
weiter.
»Mir ist der Fuß umgeknickt«, sagte Gervaise,
als sie wieder sprechen konnte.
Endlich entdeckten sie Coupeau und Poisson
am unteren Ende der Straße in Vater
Golombes »Assommoir«, im »Totschläger«.
Sie standen inmitten eines Haufens von
Männern. Coupeau, der einen grauen Kittel
anhatte, schrie mit wütenden Gebärden und
hieb mit der Faust auf den Schanktisch;
Poisson, der an diesem Tage keinen Dienst
hatte und in einen alten kastanienbraunen
Überzieher gezwängt war, hörte ihm mit
dumpfer und schweigsamer Miene zu, wobei
er seinen roten Napoleonbart zwirbelte. Goujet
ließ die Frauen am Rand des Bürgersteiges
zurück und legte seine Hand auf die Schulter
des Bauklempners. Aber als dieser Gervaise
und Virginie draußen erblickte, wurde er böse.
Wer hatte ihm bloß diese Sorte von Weibern
angeschleppt? Jetzt rückten ihm schon die
Unterröcke auf den Hals! Na, er würde sich
nicht wegrühren, mochten sie doch ihren
Saufraß von Abendessen allein fressen. Um
ihn zu beruhigen, mußte Goujet eine Lage von
irgendeinem Zeug annehmen; überdies brachte
Coupeau die Bosheit auf, fünf reichliche
Minuten vor dem Schanktisch herumzutrödeln.
Als er endlich hinausging, sagte er zu seiner
Frau:
»Das paßt mir nicht ... Ich bleibe, wo ich zu
tun habe, verstehst du!«
Sie erwiderte nichts. Sie zitterte am ganzen
Leibe. Sie mußte mit Virginie über Lantier
gesprochen haben, denn diese trieb ihren
Mann und Goujet voran, indem sie ihnen
zurief, sie sollten vorausgehen. Die beiden
Frauen nahmen dann den Bauklempner in die
Mitte, um ihn zu beschäftigen und um zu
verhindern, daß er etwas sah. Er war kaum
beschwipst, mehr vom Herumbrüllen als vom
Trinken benebelt. Da sie anscheinend den
linken Bürgersteig entlanggehen wollten,
rempelte er sie aus Neckerei an und ging auf
den rechten Bürgersteig hinüber. Erschrocken
liefen sie hinterher und trachteten die Tür von
François zu verdecken. Aber Coupeau mußte
wissen, daß Lantier dort war. Gervaise war
starr vor Entsetzen, als sie ihn brummen hörte:
»Ja, mein Schätzchen, nicht wahr, da drin sitzt
ein Kerl, einer von unsern Bekannten. Mußt
mich nicht für einen Trottel halten ... Wenn ich
dich noch mal beim Rumbummeln schnappe
mit deinen Schmach taugen!« Und er ließ rohe
Worte vom Stapel. Nicht ihn suche sie, mit
nackigten Ellbogen und mit Mehl
eingepuderter Gusche, sondern ihren
ehemaligen Luden. Dann wurde er
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