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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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jäh von
    einer wahnsinnigen Wut auf Lantier erfaßt.
    Oh, dieser Schurke! Oh, dieser Lump! Einer
    von ihnen beiden müsse, ausgenommen wie
    ein Kaninchen, auf dem Bürgersteig
    liegenbleiben. Lantier indessen schien nicht zu
    verstehen, er aß langsam sein Kalbfleisch mit
    Sauerampfer. Ein Menschenauflauf begann zu
    entstehen. Schließlich führte Virginie Coupeau
    fort, der sich plötzlich beruhigte, sobald er um
    die Straßenecke gebogen war. Wie dem auch
    sei, man kehrte weniger fröhlich in den Laden
    zurück, als man ihn verlassen hatte.
    Rings um den Tisch warteten die Gäste mit
    langen Gesichtern. Der Bauklempner teilte
    Händedrücke aus, wobei er sich vor den
    Damen in den Hüften wiegte. Gervaise, die ein
    wenig bedrückt war, sprach mit halber Stimme
    und ließ alle Platz nehmen. Aber jäh wurde sie
    gewahr, daß ein Platz, und zwar der Platz
    neben Frau Lorilleux, frei bleiben würde, weil
    Frau Goujet nicht gekommen war.
    »Wir sind dreizehn!« sagte sie ganz aufgeregt,
    denn darin sah sie einen neuen Beweis für das
    Unglück, von dem sie sich seit einiger Zeit
    bedroht fühlte.
    Die Damen, die bereits saßen, standen mit
    banger und verärgerter Miene auf. Frau Putois
    erbot sich, sich zurückzuziehen, weil man ihrer
    Meinung nach mit so etwas nicht scherzen
    dürfe; übrigens würde sie nichts anrühren, die
    Bissen würden ihr nicht bekommen. Was
    Boche anging, so grinste er: ihm war es lieber,
    wenn sie dreizehn statt vierzehn waren; die
    Portionen würden größer sein, weiter nichts.
    »Warten Sie!« erwiderte Gervaise. »Das läßt
    sich gleich einrenken.« Und auf den
    Bürgersteig hinaustretend, rief sie Vater Bru,
    der gerade den Fahrdamm überquerte.
    Gebeugt, steif, mit stummem Gesicht kam der
    alte Arbeiter herein.
    »Setzen Sie sich dorthin, lieber Mann«, sagte
    die Wäscherin. »Sie möchten doch mit uns
    essen, nicht wahr?«
    Er nickte einfach mit dem Kopf. Er möchte
    schon, ihm sei das egal.
    »Na, ebensogut er wie ein anderer«, fuhr sie,
    die Stimme senkend, fort. »Er ißt sich nicht oft
    satt. Da kann er sich wenigstens noch einmal
    gütlich tun ... Nun werden wir keine
    Gewissensbisse bekommen, wenn wir uns
    vollschlagen.«
    Goujet hatte feuchte Augen, so gerührt war er.
    Die anderen wurden zu Mitleid bewegt, fanden
    das ausgezeichnet und fügten hinzu, das werde
    ihnen allen Glück bringen. Frau Lorilleux
    allerdings schien nicht erfreut zu sein, neben
    dem Alten zu sitzen; sie rückte zur Seite, sie
    warf angewiderte kurze Blicke auf seine
    verhärteten Hände, auf seinen geflickten und
    verschossenen Kittel.
    Vater Bru blieb mit gesenktem Kopf sitzen,
    gehemmt vor allem durch die Serviette, die
    den vor ihm stehenden Teller verbarg.
    Schließlich nahm er sie fort und setzte sie
    behutsam auf den Rand des Tisches, ohne
    daran zu denken, sie auf seine Knie zu legen.
    Endlich trug Gervaise die Fadennudelsuppe
    auf, die Gäste nahmen ihre Löffel, als Virginie
    darauf aufmerksam machte, daß Coupeau
    wiederum verschwunden sei. Vielleicht war er
    gar zu Vater Colombe zurückgekehrt. Doch
    die Tischgesellschaft wurde ärgerlich. Na
    wenn schon! Diesmal würde man ihm nicht
    hinterherlaufen; er könne ja auf der Straße
    bleiben, wenn er keinen Hunger habe. Und als
    die Löffel auf dem Boden der Teller
    klapperten, kam Coupeau wieder zum
    Vorschein mit zwei Blumentöpfen, unter
    jedem Arm einen, eine Levkoje und eine
    Balsamine. Die ganze Tafelrunde klatschte in
    die Hände. Galant stellte er seine Töpfe hin,
    einen rechts und den anderen links von
    Gervaises Glas; dann beugte er sich herab, und
    sie küssend, sagte er:
    »Ich hatte dich vergessen, mein Schätzchen ...
    Das macht aber nichts, an einem Tag wie dem
    heutigen liebt man sich trotzdem.«
    »Er ist sehr lieb heute abend, der Herr
    Coupeau«, flüsterte Clémence Boche ins Ohr.
    »Er hat alles intus, was er braucht, gerade
    genug, um liebenswürdig zu sein.«
    Das gute Benehmen des Hausherrn stellte die
    einen Augenblick gefährdete Fröhlichkeit
    wieder her. Beruhigt lächelte Gervaise wieder
    über das ganze Gesicht. Die Gäste aßen die
    Suppe auf. Dann machten die Literflaschen die
    Runde, und man trank das erste Glas Wein,
    vier Fingerhoch reinen Wein, um die
    Fadennudeln hinunterzuspülen. Man hörte, wie
    sich die Kinder im Nebenzimmer stritten. Dort
    befanden sich Etienne, Nana, Pauline und der
    kleine Victor Fauconnier. Man hatte sich
    entschlossen, allein einen Tisch für die vier
    aufzustellen, und hatte

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