Der Todschlaeger
jäh von
einer wahnsinnigen Wut auf Lantier erfaßt.
Oh, dieser Schurke! Oh, dieser Lump! Einer
von ihnen beiden müsse, ausgenommen wie
ein Kaninchen, auf dem Bürgersteig
liegenbleiben. Lantier indessen schien nicht zu
verstehen, er aß langsam sein Kalbfleisch mit
Sauerampfer. Ein Menschenauflauf begann zu
entstehen. Schließlich führte Virginie Coupeau
fort, der sich plötzlich beruhigte, sobald er um
die Straßenecke gebogen war. Wie dem auch
sei, man kehrte weniger fröhlich in den Laden
zurück, als man ihn verlassen hatte.
Rings um den Tisch warteten die Gäste mit
langen Gesichtern. Der Bauklempner teilte
Händedrücke aus, wobei er sich vor den
Damen in den Hüften wiegte. Gervaise, die ein
wenig bedrückt war, sprach mit halber Stimme
und ließ alle Platz nehmen. Aber jäh wurde sie
gewahr, daß ein Platz, und zwar der Platz
neben Frau Lorilleux, frei bleiben würde, weil
Frau Goujet nicht gekommen war.
»Wir sind dreizehn!« sagte sie ganz aufgeregt,
denn darin sah sie einen neuen Beweis für das
Unglück, von dem sie sich seit einiger Zeit
bedroht fühlte.
Die Damen, die bereits saßen, standen mit
banger und verärgerter Miene auf. Frau Putois
erbot sich, sich zurückzuziehen, weil man ihrer
Meinung nach mit so etwas nicht scherzen
dürfe; übrigens würde sie nichts anrühren, die
Bissen würden ihr nicht bekommen. Was
Boche anging, so grinste er: ihm war es lieber,
wenn sie dreizehn statt vierzehn waren; die
Portionen würden größer sein, weiter nichts.
»Warten Sie!« erwiderte Gervaise. »Das läßt
sich gleich einrenken.« Und auf den
Bürgersteig hinaustretend, rief sie Vater Bru,
der gerade den Fahrdamm überquerte.
Gebeugt, steif, mit stummem Gesicht kam der
alte Arbeiter herein.
»Setzen Sie sich dorthin, lieber Mann«, sagte
die Wäscherin. »Sie möchten doch mit uns
essen, nicht wahr?«
Er nickte einfach mit dem Kopf. Er möchte
schon, ihm sei das egal.
»Na, ebensogut er wie ein anderer«, fuhr sie,
die Stimme senkend, fort. »Er ißt sich nicht oft
satt. Da kann er sich wenigstens noch einmal
gütlich tun ... Nun werden wir keine
Gewissensbisse bekommen, wenn wir uns
vollschlagen.«
Goujet hatte feuchte Augen, so gerührt war er.
Die anderen wurden zu Mitleid bewegt, fanden
das ausgezeichnet und fügten hinzu, das werde
ihnen allen Glück bringen. Frau Lorilleux
allerdings schien nicht erfreut zu sein, neben
dem Alten zu sitzen; sie rückte zur Seite, sie
warf angewiderte kurze Blicke auf seine
verhärteten Hände, auf seinen geflickten und
verschossenen Kittel.
Vater Bru blieb mit gesenktem Kopf sitzen,
gehemmt vor allem durch die Serviette, die
den vor ihm stehenden Teller verbarg.
Schließlich nahm er sie fort und setzte sie
behutsam auf den Rand des Tisches, ohne
daran zu denken, sie auf seine Knie zu legen.
Endlich trug Gervaise die Fadennudelsuppe
auf, die Gäste nahmen ihre Löffel, als Virginie
darauf aufmerksam machte, daß Coupeau
wiederum verschwunden sei. Vielleicht war er
gar zu Vater Colombe zurückgekehrt. Doch
die Tischgesellschaft wurde ärgerlich. Na
wenn schon! Diesmal würde man ihm nicht
hinterherlaufen; er könne ja auf der Straße
bleiben, wenn er keinen Hunger habe. Und als
die Löffel auf dem Boden der Teller
klapperten, kam Coupeau wieder zum
Vorschein mit zwei Blumentöpfen, unter
jedem Arm einen, eine Levkoje und eine
Balsamine. Die ganze Tafelrunde klatschte in
die Hände. Galant stellte er seine Töpfe hin,
einen rechts und den anderen links von
Gervaises Glas; dann beugte er sich herab, und
sie küssend, sagte er:
»Ich hatte dich vergessen, mein Schätzchen ...
Das macht aber nichts, an einem Tag wie dem
heutigen liebt man sich trotzdem.«
»Er ist sehr lieb heute abend, der Herr
Coupeau«, flüsterte Clémence Boche ins Ohr.
»Er hat alles intus, was er braucht, gerade
genug, um liebenswürdig zu sein.«
Das gute Benehmen des Hausherrn stellte die
einen Augenblick gefährdete Fröhlichkeit
wieder her. Beruhigt lächelte Gervaise wieder
über das ganze Gesicht. Die Gäste aßen die
Suppe auf. Dann machten die Literflaschen die
Runde, und man trank das erste Glas Wein,
vier Fingerhoch reinen Wein, um die
Fadennudeln hinunterzuspülen. Man hörte, wie
sich die Kinder im Nebenzimmer stritten. Dort
befanden sich Etienne, Nana, Pauline und der
kleine Victor Fauconnier. Man hatte sich
entschlossen, allein einen Tisch für die vier
aufzustellen, und hatte
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