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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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meinen Teller!«
    »Du fällst mir auf die Nerven! Hau ihr eine
    runter!« antwortete Gervaise, die gerade dabei
    war, sich mit grünen Erbsen vollzustopfen.
    Am Kindertisch im Nebenzimmer spielte Nana
    die Hausherrin. Sie hatte sich neben Victor
    gesetzt und hatte ihren Bruder Etienne neben
    der kleinen Pauline untergebracht; so spielten
    sie Mann und Frau, sie waren Eheleute auf
    einer Vergnügungspartie. Zuerst hatte Nana
    ihre Gäste sehr liebenswürdig mit dem
    lächelnden Gehabe einer Erwachsenen
    bedient; aber nun hatte sie ihrer Vorliebe für
    Speckstücke nachgegeben und sie alle für sich
    behalten. Augustine, diese Schielliese, die
    heimtückisch um die Kinder herumstrich,
    machte sich dies zunutze, um ganze Hände
    voll Speckstücke zu nehmen, unter dem
    Vorwand, sie neu zu verteilen. Wütend biß
    Nana sie ins Handgelenk.
    »Na, weißt du«, flüsterte Augustine, »ich
    werde gleich deiner Mutter berichten, daß du
    nach dem Frikassee zu Victor gesagt hast, er
    soll dich küssen.«
    Doch alles kam wieder in Ordnung, Gervaise
    und Mama Coupeau kamen, um die Gans vom
    Spieß zu nehmen. Auf die Stuhllehnen
    hintübergeworfen, schöpfte man Atem an der
    großen Tafel. Die Männer knöpften ihre
    Westen auf, die Damen wischten sich das
    Gesicht mit ihrer Serviette ab. Das Mahl war
    gleichsam unterbrochen; lediglich einige
    Gäste, deren Kinnladen in Schwung gesetzt
    waren, schluckten weiterhin große Bissen
    Brot, ohne es auch nur gewahr zu werden.
    Man ließ das Essen sich setzen, man wartete.
    Langsam war die Nacht hereingebrochen;
    schmutziges,

    aschgraues

    Tageslicht
    verdichtete sich hinter den Vorhängen. Als
    Augustine zwei angezündete Lampen
    hinstellte, an jedes Ende der Tafel eine, kam in
    der grellen Helligkeit die heillose Unordnung
    der Tafel zum Vorschein, die fettigen Teller
    und Gabeln, das mit Wein befleckte, mit
    Krümeln bedeckte Tischtuch. Man erstickte
    fast in dem starken Geruch, der aufstieg.
    Dennoch drehten sich die Nasen bei gewissen
    heißen Dampfwolken zur Küche hin.
    »Darf man Ihnen behilflich sein?« rief
    Virginie.
    Sie verließ ihren Stuhl, ging ins Nebenzimmer
    hinüber. Alle Frauen folgten ihr, eine nach der
    anderen. Sie umringten den Röstapparat, sie
    sahen mit tiefem Interesse Gervaise und Mama
    Coupeau zu, die an dem Tier herumzogen.
    Dann erhob sich ein Geschrei, aus dem man
    die hellen Stimmen und die Freudensprünge
    der Kinder heraushörte. Und es gab einen
    triumphalen Einzug: Gervaise trug die Gans
    mit steifen Armen, das schwitzende Gesicht zu
    einem stillen, breiten Lachen erblüht; die
    Frauen schritten hinter ihr her und lachten wie
    sie, während sich ganz hinten Nana mit
    übermäßig aufgerissenen Augen emporreckte,
    um etwas sehen zu können. Als die riesige,
    goldgelbe, von Saft triefende Gans auf dem
    Tisch stand, nahm man sie nicht sogleich in
    Angriff. Ein Staunen, eine ehrfurchtsvolle
    Überraschung, hatte der Gesellschaft die
    Sprache verschlagen. Mit Augenzwinkern und
    Kinnwackeln zeigte man sich die Gans.
    Donnerwetter noch mal! Was für ein
    Prachtstück! Was für Keulen und was für ein
    Bauch!
    »Die ist nicht vom Mauerablecken fett
    geworden!« sagte Boche.
    Nun ging man auf Einzelheiten über das Tier
    ein. Gervaise führte genaue Tatsachen an: das
    Tier sei das schönste Stück gewesen, das sie
    beim Geflügelhändler im Faubourg
    Poissonnière gefunden habe; es habe
    zwölfeinhalb Pfund auf der Waage des
    Kohlenhändlers gewogen; einen Scheffel
    Kohle habe man verbrannt, um es zu braten,
    und es habe soeben drei Schalen Fett gegeben.
    Virginie unterbrach sie, um damit zu prahlen,
    daß sie das Tier ungebraten gesehen hatte:
    man hätte es so essen können, sagte sie, so fein
    und weiß sei die Haut gewesen, die Haut einer
    Blondine, was!
    Alle Männer lachten mit bübischer Freßgier,
    die ihnen die Lippen aufblähte. Herr und Frau
    Lorilleux verkniffen allerdings die Nase, weil
    ihnen die Luft wegblieb darüber, eine solche
    Gans auf Hinkebeins Tisch zu sehen.
    »Nun also, wir wollen sie ja nicht in einem
    Stück essen«, sagte die Wäscherin schließlich.
    »Wer zerlegt sie? – Nein, nein, ich nicht! Die
    ist zu groß, da kriege ich Angst.«
    Coupeau erbot sich. Mein Gott, das sei doch
    ganz einfach: man packe die Glieder, man
    ziehe daran; die Stücke blieben trotzdem gut.
    Aber man erhob laut Einspruch, man nahm
    dem Bauklempner gewaltsam das
    Küchenmesser wieder weg; wenn er
    tranchiere, dann richte er einen wahren
    Friedhof auf

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