Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
der Platte an. Einen Augenblick
    lang suchte man nach jemandem, der willig
    war. Schließlich sagte Frau Lerat mit
    liebenswürdiger Stimme:
    »Hören Sie, Herrn Poisson kommt es zu ...
    jawohl, Herrn Poisson ...« Und da die
    Gesellschaft nicht zu begreifen schien, setzte
    sie in noch schmeichelhafterer Absicht hinzu:
    »Sicherlich, Herrn Poisson kommt es zu, der
    mit Waffen umzugehen versteht.« Und sie
    reichte dem Polizisten das Küchenmesser, das
    sie in der Hand hielt.
    Die ganze Tafelrunde lachte behaglich und
    beifällig.
    Poisson neigte mit militärischer Zackigkeit
    den Kopf und stellte die Gans vor sich hin.
    Seine Nachbarinnen, Gervaise und Frau
    Boche, rückten ab, machten Platz für seine
    Ellbogen. Er tranchierte langsam, mit weit
    ausholenden Handbewegungen, die Augen
    starr auf das Tier geheftet, wie um es auf dem
    Boden der Platte festzunageln. Als er das
    Messer tief in den knackenden Rumpf stieß,
    überkam Lorilleux eine Anwandlung von
    Patriotismus. Er schrie:
    »He! Wenn das ein Kosak wäre!«
    »Haben Sie sich denn mit Kosaken
    herumgeschlagen, Herr Poisson?« fragte Frau
    Boche.
    »Nein, mit Beduinen«, erwiderte der Polizist,
    der einen Flügel lostrennte. »Es gibt keine
    Kosaken mehr.«
    Aber es trat tiefe Stille ein. Die Köpfe reckten
    sich, die Blicke folgten dem Messer. Poisson
    brachte eine Überraschung zustande.
    Jäh vollführte er einen letzten Schnitt, das
    Hintergestell des Tieres löste sich ab und stand
    aufrecht da, den Bürzel in der Luft: das war
    die Bischofsmütze. Da brach Bewunderung
    los. Nur die alten Militärs konnten in
    Gesellschaft so liebenswürdig sein.
    Unterdessen hatte die Gans soeben eine
    Saftwoge durch das klaffende Loch ihres
    Hinterns entweichen lassen; und Boche ulkte.
    »Ich abonniere darauf«, murmelte er, »daß
    man mir so in den Mund pinkelt.«
    »Oh, dieser Dreckfink!« riefen die Damen.
    »Muß das aber ein Dreckfink sein!«
    »Nein, ich kenne keinen so ekelhaften Mann!«
    sagte Frau Boche, die noch wütender als die
    anderen war. »Sei still, verstehst du! Du
    könntest es einer ganzen Armee verekeln ...
    Wissen Sie, das macht er, um alles allein zu
    essen!«
    In diesem Augenblick sagte Clémence
    inmitten des Lärms mehrmals beharrlich:
    »Herr Poisson, hören Sie, Herr Poisson ... Sie
    heben mir doch den Bürzel auf, nicht wahr?«
    »Meine Liebe, der Bürzel kommt Ihnen von
    Rechts wegen zu«, sagte Frau Lerat in ihrer
    diskret anzüglichen Art.
    Doch die Gans war tranchiert. Nachdem der
    Polizist die Bischofsmütze einige Minuten
    lang hatte von der Gesellschaft bewundern
    lassen, hatte er soeben die Stücke abgesäbelt
    und rings um die Platte angeordnet. Man
    konnte sich bedienen. Aber die Damen, die
    ihre Kleider aufhakten, klagten über die Hitze.
    Coupeau rief, man sei ja zu Hause, auf die
    Nachbarn scheiße er; er machte die Tür zur
    Straße sperrangelweit auf, und die
    Schmauserei ging weiter inmitten des Rollens
    der Droschken und des Gedränges der
    Passanten auf den Bürgersteigen. Mit
    ausgeruhten Kinnladen und einem neuen Loch
    im Magen begann man dann wiederum zu
    speisen und fiel rasend über die Gans her.
    Schon das bloße Warten und Zuschauen beim
    Tranchieren des Tieres, sagte Boche, dieser
    Spaßvogel, habe ihm das Frikassee und den
    Schweinerücken

    in

    die

    Waden
    hinunterrutschen lassen.
    Du meine Güte, da wurde aber tüchtig
    reingehauen; das heißt, niemand von der
    Gesellschaft erinnerte sich, sich jemals eine
    derartige Magenverstimmung geholt zu haben.
    Unmäßig, auf die Ellbogen zusammengesackt,
    aß Gervaise große Stücke Brustfleisch und
    sprach nicht dabei, aus Angst, ihr könne ein
    Bissen verlorengehen; und sie schämte sich
    bloß etwas vor Goujet, war verdrossen, weil
    sie sich so zeigte, gierig wie eine Katze.
    Goujet schlug sich übrigens selber zu sehr
    voll, wie er sie so ganz rosig vom Essen sah.
    Außerdem blieb sie in ihrer Gefräßigkeit so
    nett und so gut! Sie sprach nicht, doch sie
    stand alle Augenblicke auf, um Vater Bru zu
    versorgen und ihm irgend etwas Leckeres auf
    den Teller zu schieben. Es war sogar rührend
    mit anzusehen, wie dieses gefräßige Wesen
    sich ein Stückchen Flügel vom Munde
    wegnahm, um es dem Alten zu geben, der kein
    Kenner zu sein schien und der alles
    hinunterschluckte, mit gesenktem Kopf, ganz
    vertiert von dermaßen vielem Fressen, er, der
    schon gar nicht mehr wußte, wie Brot
    schmeckte. Die Lorilleux ließen ihre Wut am
    Braten aus; sie nahmen sich für drei

Weitere Kostenlose Bücher