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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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in der drei Sous klimperten,
    und lachte dabei, als besäße er die
    Hundertsousstücke scheffelweise. Selbst
    Goujet, der gewöhnlich so nüchtern war,
    begoß sich die Nase. Boches Augen wurden
    kleiner, die von Lorilleux wurden bleich,
    während Poisson immer strenger mit den
    Augen in seinem gebräunten Gesicht eines
    alten Soldaten rollte. Sie waren bereits
    sternhagelbesoffen. Und auch die Damen
    hatten einen sitzen, oh, einen noch leichten
    Rausch, den reinen Wein auf den Wangen,
    dazu ein Verlangen, sich auszuziehen, was sie
    veranlaßte, ihr Halstuch abzulegen; allein
    Clémence begann unschicklich zu werden.
    Doch plötzlich erinnerte sich Gervaise an die
    sechs Flaschen originalabgefüllten Wein; sie
    hatte vergessen, sie zur Gans zu servieren; sie
    brachte sie herbei, und man füllte die Gläser.
    Da richtete Poisson sich auf und sagte, das
    Glas in der Hand:
    »Ich trinke auf die Gesundheit der
    Hausherrin.«
    Die ganze Gesellschaft stand mit lärmendem
    Stühlerücken auf; die Arme wurden
    ausgestreckt, und die Gläser stießen inmitten
    von Geschrei aneinander.
    »Heute in fünfzig Jahren!« rief Virginie.
    »Nein, nein«, erwiderte Gervaise bewegt und
    lächelnd, »da würde ich zu alt sein. Ach ja, es
    kommt ein Tag, wo man froh ist, zu scheiden.«
    Währenddessen schaute das Viertel durch die
    weit offene Tür zu und nahm an dem Gelage
    teil. Passanten blieben in dem Lichtstrahl
    stehen, der sich auf dem Pflaster verbreitert
    hatte, und lachten vor Entzücken, wie sie diese
    Leute so nach Herzenslust schlingen sahen.
    Die Kutscher, die sich auf ihren Böcken
    herabbeugten und auf ihre Gäule einpeitschten,
    warfen einen Blick hinein und ließen einen
    Witz vom Stapel: »Hör mal, bezahlst du
    nichts? – Heda, du schwangere Alte, ich hole
    die Hebamme!« Und der Geruch der Gans
    erfreute und erheiterte die Straße; die Gehilfen
    des Kolonialwarenhändlers auf dem
    gegenüberliegenden Bürgersteig glaubten von
    dem Tier zu essen; die Obsthändlerin und die
    Kaldaunenhändlerin kamen alle Augenblicke
    und pflanzten sich vor dem Laden auf, um die
    Luft zu schnüffeln, wobei sie sich die Lippen
    leckten. Die Straße verreckte regelrecht an
    verdorbenem Magen. Die Damen Cudorge,
    Mutter

    und

    Tochter,

    die
    Regenschirmhändlerinnen von nebenan, die
    man niemals zu sehen bekam, überquerten
    hintereinander den Fahrdamm, mit
    schmachtenden Augen und so rot, als hätten
    sie Krapfen gebacken. Der kleine Juwelier, der
    an seinem Werktisch saß, konnte nicht mehr
    arbeiten, war besoffen, weil er die
    Literflaschen gezählt hatte, und ganz erregt
    inmitten seiner lustigen Kuckucksuhren. Ja,
    die Nachbarn kochten vor Wut! schrie
    Coupeau. Warum hätte man sich denn
    verstecken sollen? Die angeheiterte
    Gesellschaft schämte sich nicht mehr, sich
    beim Tafeln zu zeigen; im Gegenteil, das
    schmeichelte ihnen und erhitzte sie, diese
    Leute, die sich zusammengerottet hatten und
    vor Freßgier Maulaffen feilhielten; am liebsten
    hätten sie das Schaufenster eingeschlagen, die
    gedeckte Tafel bis auf den Fahrdamm
    hinausgeschoben und sich dort vor der Nase
    des Publikums auf dem bebenden Pflaster den
    Nachtisch zu Gemüte geführt. Man war doch
    nicht widerlich anzusehen, nicht wahr? Da
    hatte man es auch nicht nötig, sich wie die
    Egoisten einzuschließen. Als Coupeau sah,
    wie der kleine Uhrmacher da drüben vor
    heftigem Durst ganz weiß spuckte, zeigte er
    ihm von weitem eine Flasche; und als der
    andere nickend annahm, brachte er ihm die
    Flasche und ein Glas. Eine Brüderlichkeit
    entstand mit der Straße. Man trank den
    Vorübergehenden zu. Man rief die Kumpels
    heran, die patent aussahen. Die Fresserei
    breitete sich aus, griff nach und nach weiter
    um sich, und zwar dermaßen, daß das ganze
    Viertel La Goutted'Or den Fraß roch und sich
    in einem Bacchanal aller Teufel den Bauch
    hielt.
    Seit einer Weile ging Frau Vigouroux, die
    Kohlenhändlerin, vor der Tür auf und ab.
    »He! Madame Vigouroux! Madame
    Vigouroux!« brüllte die Gesellschaft.
    Sie trat ein mit einem dummen Lachen, mit
    gewaschenem Gesicht und so fett, daß fast ihr
    Mieder platzte. Die Männer kniffen sie gern,
    weil sie sie überall kneifen konnten, ohne
    jemals auf einen Knochen zu stoßen. Boche
    ließ sie neben sich Platz nehmen; und sofort
    faßte er heimlich unter dem Tisch nach ihrem
    Knie. Aber sie, die an so was gewöhnt war,
    leerte seelenruhig ein Glas Wein und erzählte,
    die Nachbarn stünden an den Fenstern und im
    Hause

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