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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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begännen sich Leute zu ärgern.
    »Oh, das ist unsere Sache«, sagte Frau Boche.
    »Die Concierges sind wir, nicht wahr? Na, und
    wir sind für die Ruhe verantwortlich ... Sollen
    sie sich doch beschweren kommen, wir
    werden sie gehörig in Empfang nehmen.«
    Im hinteren Raum hatte soeben eine wütende
    Schlacht zwischen Nana und Augustine wegen
    des Röstapparats stattgefunden, den alle beide
    auswischen wollten. Eine Viertelstunde lang
    war der Röstapparat mit dem Geklapper einer
    alten Kasserolle auf dem Fliesenfußboden hin
    und her gescheppert. Nun umsorgte Nana den
    kleinen Victor, der einen Gänseknochen in der
    Kehle hatte; sie steckte ihm die Finger unter
    das Kinn und nötigte ihn, als Medizin große
    Stücke Zucker zu schlucken.
    Dies hinderte sie nicht, auf den großen Tisch
    aufzupassen. Alle Augenblicke kam sie und
    bat um Wein, Brot und Fleisch für Etienne und
    Pauline.
    »Da, platze!« sagte ihre Mutter zu ihr. »Willst
    du mich nun gefälligst in Ruhe lassen!«
    Die Kinder konnten nichts mehr runterkriegen,
    aber sie aßen trotzdem, indem sie mit ihrer
    Gabel eine Choralmelodie klopften, um sich
    anzuspornen.
    Inmitten des Lärms hatte sich indessen ein
    Gespräch zwischen Vater Bru und Mama
    Coupeau entsponnen. Der Alte, der beim
    Essen und beim Wein bleich blieb, sprach von
    seinen auf der Krim gefallenen Söhnen. Ach,
    wenn die Kleinen noch lebten, hätte er alle
    Tage Brot gehabt.
    Sich zu ihm hinüberneigend, sagte aber Mama
    Coupeau mit ein wenig schwerer Zunge zu
    ihm:
    »Man hat schon seine Qual mit den Kindern,
    das sage ich Ihnen! So sehe ich aus, als ob ich
    hier glücklich wäre, nicht wahr? Na, ich weine
    so manches Mal ... Nein, wünschen Sie sich
    nicht, Kinder zu haben.«
    Vater Bru nickte.
    »Man will mich nirgends mehr zum Arbeiten
    haben«, murmelte er. »Ich bin zu alt. Wenn ich
    in eine Werkstatt komme, dann machen die
    Jungen Witze und fragen mich, ob ich der bin,
    der Heinrich IV.58 die Stiefel gewichst hat ...
    Voriges Jahr habe ich noch dreißig Sous am
    Tag beim Anstreichen einer Brücke verdient;
    man mußte auf dem Rücken liegen, und dazu
    der Fluß, der unten floß. Seit dieser Zeit huste
    ich ... Heute ist es aus, man hat mich überall
    vor die Tür gesetzt.« Er betrachtete seine
    armen steif gewordenen Hände und fügte
    hinzu: »Das ist verständlich, wo ich zu nichts
    nütze bin. Die haben schon recht, ich würde es
    genauso machen ... Sehen Sie, das Unglück
    dabei ist, daß ich nicht gestorben bin. Ja, es ist
    meine Schuld. Man muß sich hinlegen und
    verrecken, wenn man nicht mehr arbeiten
    kann.«
    »Wahrhaftig«, sagte Lorilleux, der zuhörte,
    »ich verstehe nicht, warum die Regierung den
    Arbeitsinvaliden nicht zu Hilfe kommt ... Ich
    las das neulich in einer Zeitung ...«
    Aber Poisson glaubte die Regierung
    verteidigen zu müssen. »Arbeiter sind keine
    Soldaten«, erklärte er. »Das Hotel des
    Invalides ist für Soldaten da ... Man darf nichts
    Unmögliches verlangen.«
    Der Nachtisch war aufgetragen. In der Mitte
    stand ein Napfkuchen in Form eines Tempels
    mit einer Kuppel aus Melonenscheiben; und
    auf der Kuppel steckte eine künstliche Rose,
    neben der sich ein Schmetterling aus
    Silberpapier am Ende eines Eisendrahtes
    wiegte. Zwei Gummitropfen an den
    Herzblättern der Blüte stellten zwei
    Tautropfen vor. Ferner schwamm links in
    einer tiefen Schüssel ein Stück Weißkäse,
    während sich in einer anderen Schüssel rechts
    große matschige Erdbeeren häuften, deren Saft
    ausfloß. Es blieb jedoch etwas Salat übrig,
    breite, öltriefende Blätter römischen Salats.
    »Nun, Madame Boche«, sagte Gervaise
    zuvorkommend, »noch etwas Salat? Das ist
    Ihre Leidenschaft, ich weiß es doch.«
    »Nein, nein, danke! Ich bin bis obenhin voll«,
    antwortete die Concierge.
    Als sich die Wäscherin zu Virginie umdrehte,
    steckte sich diese den Finger in den Mund, als
    wolle sie das Essen im Halse befühlen.
    »Wirklich, ich bin voll«, murmelte sie. »Es ist
    kein Platz mehr da. Kein Bissen würde mehr
    reingehen.«
    »Oh, wenn Sie sich ein bißchen zwingen«,
    entgegnete Gervaise lächelnd. »Ein kleines
    Loch hat man immer noch. Salat, der ißt sich
    ohne Hunger ... Sie werden doch römischen
    Salat nicht umkommen lassen.«
    »Sie können ihn morgen durchgezogen essen«,
    sagte Frau Lerat. »Durchgezogen schmeckt er
    besser.«
    Die Damen schnauften, während sie mit
    bedauernder Miene die Salatschüssel
    betrachteten. Clémence erzählte, sie habe

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