Der Todschlaeger
begännen sich Leute zu ärgern.
»Oh, das ist unsere Sache«, sagte Frau Boche.
»Die Concierges sind wir, nicht wahr? Na, und
wir sind für die Ruhe verantwortlich ... Sollen
sie sich doch beschweren kommen, wir
werden sie gehörig in Empfang nehmen.«
Im hinteren Raum hatte soeben eine wütende
Schlacht zwischen Nana und Augustine wegen
des Röstapparats stattgefunden, den alle beide
auswischen wollten. Eine Viertelstunde lang
war der Röstapparat mit dem Geklapper einer
alten Kasserolle auf dem Fliesenfußboden hin
und her gescheppert. Nun umsorgte Nana den
kleinen Victor, der einen Gänseknochen in der
Kehle hatte; sie steckte ihm die Finger unter
das Kinn und nötigte ihn, als Medizin große
Stücke Zucker zu schlucken.
Dies hinderte sie nicht, auf den großen Tisch
aufzupassen. Alle Augenblicke kam sie und
bat um Wein, Brot und Fleisch für Etienne und
Pauline.
»Da, platze!« sagte ihre Mutter zu ihr. »Willst
du mich nun gefälligst in Ruhe lassen!«
Die Kinder konnten nichts mehr runterkriegen,
aber sie aßen trotzdem, indem sie mit ihrer
Gabel eine Choralmelodie klopften, um sich
anzuspornen.
Inmitten des Lärms hatte sich indessen ein
Gespräch zwischen Vater Bru und Mama
Coupeau entsponnen. Der Alte, der beim
Essen und beim Wein bleich blieb, sprach von
seinen auf der Krim gefallenen Söhnen. Ach,
wenn die Kleinen noch lebten, hätte er alle
Tage Brot gehabt.
Sich zu ihm hinüberneigend, sagte aber Mama
Coupeau mit ein wenig schwerer Zunge zu
ihm:
»Man hat schon seine Qual mit den Kindern,
das sage ich Ihnen! So sehe ich aus, als ob ich
hier glücklich wäre, nicht wahr? Na, ich weine
so manches Mal ... Nein, wünschen Sie sich
nicht, Kinder zu haben.«
Vater Bru nickte.
»Man will mich nirgends mehr zum Arbeiten
haben«, murmelte er. »Ich bin zu alt. Wenn ich
in eine Werkstatt komme, dann machen die
Jungen Witze und fragen mich, ob ich der bin,
der Heinrich IV.58 die Stiefel gewichst hat ...
Voriges Jahr habe ich noch dreißig Sous am
Tag beim Anstreichen einer Brücke verdient;
man mußte auf dem Rücken liegen, und dazu
der Fluß, der unten floß. Seit dieser Zeit huste
ich ... Heute ist es aus, man hat mich überall
vor die Tür gesetzt.« Er betrachtete seine
armen steif gewordenen Hände und fügte
hinzu: »Das ist verständlich, wo ich zu nichts
nütze bin. Die haben schon recht, ich würde es
genauso machen ... Sehen Sie, das Unglück
dabei ist, daß ich nicht gestorben bin. Ja, es ist
meine Schuld. Man muß sich hinlegen und
verrecken, wenn man nicht mehr arbeiten
kann.«
»Wahrhaftig«, sagte Lorilleux, der zuhörte,
»ich verstehe nicht, warum die Regierung den
Arbeitsinvaliden nicht zu Hilfe kommt ... Ich
las das neulich in einer Zeitung ...«
Aber Poisson glaubte die Regierung
verteidigen zu müssen. »Arbeiter sind keine
Soldaten«, erklärte er. »Das Hotel des
Invalides ist für Soldaten da ... Man darf nichts
Unmögliches verlangen.«
Der Nachtisch war aufgetragen. In der Mitte
stand ein Napfkuchen in Form eines Tempels
mit einer Kuppel aus Melonenscheiben; und
auf der Kuppel steckte eine künstliche Rose,
neben der sich ein Schmetterling aus
Silberpapier am Ende eines Eisendrahtes
wiegte. Zwei Gummitropfen an den
Herzblättern der Blüte stellten zwei
Tautropfen vor. Ferner schwamm links in
einer tiefen Schüssel ein Stück Weißkäse,
während sich in einer anderen Schüssel rechts
große matschige Erdbeeren häuften, deren Saft
ausfloß. Es blieb jedoch etwas Salat übrig,
breite, öltriefende Blätter römischen Salats.
»Nun, Madame Boche«, sagte Gervaise
zuvorkommend, »noch etwas Salat? Das ist
Ihre Leidenschaft, ich weiß es doch.«
»Nein, nein, danke! Ich bin bis obenhin voll«,
antwortete die Concierge.
Als sich die Wäscherin zu Virginie umdrehte,
steckte sich diese den Finger in den Mund, als
wolle sie das Essen im Halse befühlen.
»Wirklich, ich bin voll«, murmelte sie. »Es ist
kein Platz mehr da. Kein Bissen würde mehr
reingehen.«
»Oh, wenn Sie sich ein bißchen zwingen«,
entgegnete Gervaise lächelnd. »Ein kleines
Loch hat man immer noch. Salat, der ißt sich
ohne Hunger ... Sie werden doch römischen
Salat nicht umkommen lassen.«
»Sie können ihn morgen durchgezogen essen«,
sagte Frau Lerat. »Durchgezogen schmeckt er
besser.«
Die Damen schnauften, während sie mit
bedauernder Miene die Salatschüssel
betrachteten. Clémence erzählte, sie habe
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