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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Waden der
    Kohlenhändlerin entlang Mäuschen. Das hätte
    häßlich werden können, wenn Goujet nicht auf
    einen kurzen Blick von Gervaise hin die Stille
    und die Achtung mit dem »Abschied
    AbdelKaders«59 wiederhergestellt hätte, den
    er mit seiner Baßstimme grollte. Der besaß
    aber eine gediegene Tiefe, du meine Güte! Das
    drang aus seinem ausgebreiteten schönen
    gelben Bart hervor wie aus einer kupfernen
    Trompete. Als er, von der schwarzen Stute des
    Kriegers sprechend, den Schrei »O meine edle
    Gefährtin!« herausschleuderte, schlugen die
    Herzen, man klatschte ihm Beifall, ohne den
    Schluß abzuwarten, so laut hatte er geschrien.
    »Sie sind dran, Vater Bru, Sie sind dran!«
    sagte Mama Coupeau. »Singen Sie Ihr Lied.
    Die alten sind die hübschesten, das kann ich
    Ihnen sagen!«
    Und die Gesellschaft drehte sich zu dem Alten
    um, ließ nicht locker, redete ihm zu. Ganz
    benommen mit seiner reglosen Maske aus
    gegerbter Haut, sah er die Leute an, ohne
    anscheinend zu verstehen. Man fragte ihn, ob
    er die »Fünf Vokale« kenne. Er senkte das
    Kinn; er erinnerte sich nicht mehr; alle Lieder
    aus der guten alten Zeit vermengten sich in
    seinem Nischel. Als man beschloß, ihn in
    Ruhe zu lassen, schien er sich zu entsinnen
    und lallte mit Grabesstimme:
    »Trulala, trulala,
    trula, trula, trulala!«
    Sein Gesicht belebte sich, dieser Kehrreim
    mußte wohl ferne Freuden in ihm wachrufen,
    die er allein genoß, indem er mit kindlichem
    Entzücken seiner immer dumpfer werdenden
    Stimme lauschte.
    »Trulala, trulala,
    trula, trula, trulala!«
    »Hören Sie mal, meine Liebe«, flüsterte
    Virginie Gervaise ins Ohr, »Sie wissen ja, ich
    komme schon wieder von dort. Es quälte
    mich ... Also, Lantier ist von François
    abgehauen.«
    »Haben Sie ihn draußen nicht getroffen?«
    fragte die Wäscherin.
    »Nein, ich bin schnell gegangen, ich habe
    nicht daran gedacht, mich umzusehen.« Aber
    Virginie, die aufblickte, unterbrach sich und
    stieß einen unterdrückten Seufzer aus. »Oh,
    mein Gott! – Da steht er auf dem Bürgersteig
    gegenüber; er sieht hierher.«
    Ganz erschüttert wagte Gervaise einen kurzen
    Blick. Auf der Straße hatten sich Menschen
    angesammelt, um der Gesellschaft beim
    Singen zuzuhören. Die Gehilfen des
    Kolonialwarenhändlers,

    die
    Kaldaunenhändlerin und der kleine Uhrmacher
    bildeten eine Gruppe und schienen im Theater
    zu sein. Da waren Soldaten, Bürger im
    Gehrock, drei kleine Mädchen von fünf oder
    sechs Jahren, die sich an den Händen hielten
    und ganz ernst und aufs höchste verwundert
    waren. Und tatsächlich hatte sich Lantier dort
    hingepflanzt, in der ersten Reihe, und hörte
    und schaute mit ruhiger Miene zu. Das war
    wirklich eine Frechheit. Gervaise fühlte, wie
    ihr Kälte von den Beinen zum Herzen
    emporstieg, und sie wagte sich nicht mehr zu
    rühren, während Vater Bru fortfuhr:
    »Trulala, trulala,
    trula, trula, trulala!«
    »Ach nein, alter Freund, das ist genug!« sagte
    Coupeau. »Kennen Sie das denn ganz? – Sie
    können es uns ja einen anderen Tag vorsingen,
    he, wenn wir allzu lustig sind.«
    Es gab Gelächter. Der Alte blieb stecken, ließ
    seine blassen Augen um den Tisch schweifen
    und nahm wieder das Aussehen dösenden
    Viehs an. Der Kaffee war getrunken, der
    Bauklempner hatte wieder Wein verlangt.
    Soeben hatte Clémence wieder angefangen,
    Erdbeeren zu essen. Einen Augenblick lang
    hörten die Lieder auf, man sprach von einer
    Frau, die man am Morgen im Nebenhaus
    erhängt aufgefunden hatte.
    Frau Lerat war an der Reihe, aber sie benötigte
    Vorbereitungen. Sie tauchte den Zipfel ihrer
    Serviette in ein Glas Wasser und legte ihn sich
    auf die Schläfen, weil ihr zu warm war. Darauf
    bat sie um ein Tröpfchen Branntwein, trank
    ihn und wischte sich ausgiebig die Lippen ab.
    »›Das Findelkind‹, nicht wahr?« murmelte sie.
    »›Das Findelkind‹ ...« Und groß, männlich,
    mit ihrer knochigen Nase und ihren
    vierschrötigen Dragonerschultern, begann sie:
    »Von der Mutter verlassen, ein Findelkind,
    an heilger Stätte ein Obdach find't.
    Und Gott beschirmt es mit seinem Thron.
    Ein Findelkind, das ist Gottes Sohn.«
    Ihre Stimme zitterte bei bestimmten Worten
    und schleppte sich in erweichten Tönen dahin;
    sie blickte mit seitwärts verdrehten Augen zum
    Himmel empor, während sie ihre rechte Hand
    vor der Brust hin und her schlenkerte und mit
    einer ergriffenen Gebärde auf ihr Herz preßte.
    Da konnte Gervaise, die durch Lantiers
    Gegenwart auf

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