Der Todschlaeger
das ist ja so
beunruhigend. Na, warum bleibt er in der
Schenke, wenn er ganz vernünftig ist? – Mein
Gott, mein Gott! Wenn bloß nichts passiert!«
Die Wäscherin, die sehr unruhig war, flehte sie
an, sie solle schweigen.
Mit einemmal war tiefe Stille eingetreten.
Soeben war Frau Putois aufgestanden und
sang: »Auf zum Entern!« Stumm und
andächtig schauten die Gäste sie an; selbst
Poisson hatte, um sie besser hören zu können,
seine Pfeife auf den Rand des Tisches gelegt.
Sie stand in steifer Haltung da, klein und
hitzig, das Gesicht bleich unter der schwarzen
Haube; sie schleuderte ihre linke Faust mit
überzeugtem Stolz vor und schmetterte mit
einer Stimme, die gewichtiger war als sie
selber:
»Jagt ein Freibeuter auf dem Meer
verwegen hinter uns her,
wehe ihm, dem Flibustier!
Keine Gnade geben wir!
Kinder, an die Karronaden ran!
Rum in vollen Zügen dann!
Freibeuter und Piraten, ohe!
sind für uns das Wild auf See!«
Das war etwas Ernstes. Donnerwetter noch
mal! Das gab doch einen richtigen Begriff von
der Sache. Poisson, der zur See gefahren war,
wackelte mit dem Kopf, um den Einzelheiten
zuzustimmen. Man spürte übrigens genau, daß
dieses Lied Frau Putois lag.
Coupeau beugte sich vor, um zu erzählen, wie
Frau Putois eines Abends in der Rue Poulet
vier Männer geohrfeigt hatte, die ihre Ehre
antasten wollten.
Währenddessen servierte Gervaise, der Mama
Coupeau dabei half, den Kaffee, obwohl man
noch Napfkuchen aß. Man ließ sie sich nicht
wieder hinsetzen, man rief ihr zu, sie sei an der
Reihe. Mit weißem Gesicht und unbehaglich
aussehend, sträubte sie sich; man fragte sie
sogar, ob ihr die Gans etwa nicht bekommen
sei. Darauf trug sie mit schwacher und sanfter
Stimme »Ach, laßt mich schlafen!« vor; als sie
beim Kehrreim anlangte, diesem Wunsch nach
einem von schönen Träumen belebten
Schlummer, schlossen sich ihre Lider ein
wenig, und ihr tränenertränkter Blick verlor
sich ins Dunkel nach der Straße hin. Gleich
darauf verbeugte sich Poisson mit einem
zackigen Kopfnicken vor den Damen und
stimmte ein Trinklied an, »Frankreichs
Weine«; aber er sang wie eine Klistierspritze;
allein die letzte Strophe, die patriotische
Strophe, hatte Erfolg, denn als darin von der
Trikolore gesprochen wurde, hob er sein Glas
ganz hoch, schwenkte es hin und her und
leerte es schließlich tief in seinen weit
geöffneten Mund hinein. Dann folgten
schmalzige Lieder nacheinander; es war die
Rede von Venedig und den Gondolieri in Frau
Boches Barkarole, von Sevilla und den
Andalusierinnen in Frau Lorilleux' Bolero,
während Lorilleux so weit ging, anläßlich der
Liebschaften Fatmas, der Tänzerin, von den
Wohlgerüchen Arabiens zu sprechen. Rings
um den fettigen Tisch taten sich in der
stickigen Luft, im Odem verdorbener Mägen,
goldene Horizonte auf, zogen Elfenbeinhälse
vorüber, Ebenholzhaar, Küsse im
Mondenschein
bei
Gitarrenklängen,
Bajaderen, die unter ihren Schritten einen
Regen von Perlen und Edelsteinen verstreuten.
Und die Männer rauchten verklärt ihre Pfeifen,
die Damen wahrten das unbewußte Lächeln
befriedigten Sinnenrauschs, alle glaubten, dort
unten zu sein, glaubten gute Düfte zu atmen.
Als Clémence mit einem Tremolo der Kehle
»Baut ein Nest« zu gurren begann, rief das
ebenfalls viel Vergnügen hervor; denn das
erinnerte ans Land, an flinke Vögel, an Tänze
unterm Laubdach, an Blüten mit Honigkelch,
kurzum, an das, was man im Bois de
Vincennes an den Tagen sah, an denen man
einem Kaninchen den Hals umdrehen ging.
Doch Virginie stellte den Jux mit »Mein
Schnäpselchen« wieder her; eine Hand in die
Hüfte gestemmt, den Ellbogen gerundet,
ahmte sie eine Marketenderin nach; mit der
anderen Hand schenkte sie das Schnäpschen
ins Leere ein, indem sie das Handgelenk
drehte, so daß die Gesellschaft darauf Mama
Coupeau anflehte, die »Maus« zu singen. Die
alte Frau weigerte sich und schwor, sie kenne
diese Unanständigkeit nicht. Dennoch begann
sie mit ihrer dünnen, brüchigen Stimme, und
ihr runzliges Gesicht mit den lebhaften
Äuglein unterstrich die Anspielungen und
Fräulein Lises Schrecken, die beim Anblick
der Maus ihre Röcke zusammenhielt. Der
ganze Tisch lachte; die Frauen konnten nicht
ernst bleiben und warfen ihren Nachbarn
leuchtende Blicke zu; das war ja schließlich
nicht schmutzig, es waren keine anstößigen
Worte dabei. Um die Wahrheit zu sagen,
Boche spielte an den
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