Der Todschlaeger
eines
Tages drei Bund Kresse zum Mittagessen
hinuntergeschlungen. Frau Putois war noch
tüchtiger, sie esse Köpfe römischen Salats,
ohne sie zu putzen; sie grase sie einfach so ab,
nur mit etwas Salz. Alle hätten von Salat leben
mögen, hätten sich ihn kübelweise leisten
mögen. Und da dieses Gespräch nachhalf,
aßen die Damen die Schüssel Salat auf.
»Ich, ich könnte mich auf einer Wiese auf alle
viere niederlassen«, sagte die Concierge
immer wieder mit vollem Mund.
Nun grinste man angesichts des Nachtisches.
Der zählte nicht, der Nachtisch. Er kam ein
bißchen spät, aber das machte nichts, man
wollte ihm trotzdem zusprechen. Und wenn
man wie eine Bombe hätte platzen müssen,
man konnte sich doch von Erdbeeren und
Kuchen nicht ärgern lassen. Übrigens eilte ja
nichts, man hatte Zeit, die ganze Nacht, wenn
man wollte. Unterdessen füllte man die Teller
mit Erdbeeren und Weißkäse. Die Männer
zündeten Pfeifen an; und da die
originalabgefüllten Flaschen leer waren,
kehrten sie zu den Literflaschen zurück, sie
tranken Wein und rauchten dabei. Aber man
wollte, daß Gervaise den Napfkuchen sofort
anschnitt. Sehr galant erhob sich Poisson, um
die Rose zu nehmen, die er unter dem
Beifallklatschen der Gesellschaft der
Hausherrin anbot. Sie mußte sie mit einer
Nadel auf der linken Brust in der Gegend des
Herzens feststecken. Bei jeder ihrer
Bewegungen flatterte der Schmetterling.
»Hören Sie mal!« rief Lorilleux aus, der
soeben eine Entdeckung gemacht hatte. »Aber
wir essen ja auf Ihrem Werktisch! – Na,
vielleicht ist noch niemals so sehr darauf
gearbeitet worden!«
Dieser boshafte Scherz hatte großen Erfolg. Es
begann witzige Anspielungen zu regnen:
Clémence schluckte keinen Löffel Erdbeeren
mehr hinunter, ohne zu sagen, sie führe einen
Bügelstrich; Frau Lerat behauptete, der
Weißkäse schmecke nach Stärke, während
Frau Lorilleux immer wieder zwischen den
Zähnen murmelte, das sei das richtige, das
Geld so schnell auf den Brettern zu verfressen,
auf denen es so mühselig verdient worden war.
Ein Sturm von Gelächter und Geschrei erhob
sich.
Aber jäh gebot eine kräftige Stimme
jedermann Schweigen. Das war Boche, er
hatte sich erhoben, verrenkte in anzüglicher
Weise die Hüften und sang den »Liebesvulkan
oder den verführerischen Kommißhengst«.
»Ich bin's, Blavin, der die Schönen
verführt ...«
Ein Donnern von Bravorufen empfing die erste
Strophe. Ja, ja, man wollte singen! Jeder sollte
das seine vortragen. Das war amüsanter als
alles andere. Und die Gesellschaft stützte die
Ellbogen auf den Tisch, warf sich hintüber
gegen die Stuhllehnen, wackelte bei den
schönen Stellen mit dem Kinn und trank bei
den Kehrreimen einen Schluck. Boche, dieser
Tölpel, war Spezialist für komische Lieder. Er
hätte die Karaffen zum Lachen gebracht, wenn
er mit gespreizten Fingern, den Hut im
Nacken, den Muschkoten nachmachte. Gleich
nach dem »Liebesvulkan« stimmte er die
»Baronin von Lotterluder« an, einen seiner
Erfolge. Als er bei der dritten Strophe
anlangte, drehte er sich zu Clémence um und
flüsterte mit langsam werdender und
wollüstiger Stimme:
»Bei der Baronin zu Gast man war,
da waren ihre vier Schwestern fein,
drei braun, die andere mit blondem Haar,
die hatten acht reizende Äugelein.«
Da fiel die Gesellschaft mitgerissen in den
Kehrreim ein. Die Männer gaben mit den
Absätzen den Takt an. Die Damen hatten ihr
Messer ergriffen und klopften im Rhythmus an
ihr Glas. Alle grölten:
»Sakrament! Wer zahlt denn wohl
den Schnaps für die Pa ..., für die Pa ... Pa ...,
Sakrament! Wer zahlt denn wohl
den Schnaps für die Pa ..., für die Patrou ...
ou ... ouille?«
Die Fensterscheiben des Ladens dröhnten, der
heftige Atem der Sänger ließ die
Musselinvorhänge auffliegen. Inzwischen war
Virginie schon zweimal verschwunden und
hatte sich beim Zurückkommen zu Gervaises
Ohr herabgebeugt, um ihr ganz leise eine
Auskunft zu geben. Als sie zum drittenmal
inmitten des Getöses zurückkam, sagte sie zu
ihr:
»Meine Liebe, er ist immer noch bei François,
er tut so, als ob er Zeitung liest ... Da steckt
bestimmt irgendeine faule Sache dahinter.« Sie
sprach von Lantier. Er war es nämlich, den sie
so belauern ging.
Bei jedem neuen Bericht wurde Gervaise
ernst.
»Ist er denn besoffen?« fragte sie Virginie.
»Nein«, antwortete die große Brünette. »Er
sieht ganz vernünftig aus. Gerade
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